Diesen Luxus kann sich die Schweiz nicht länger leisten

20. Juni 2018 Meinungen
Von Simon Wey

Der Schweizerische Arbeitgeberverband (SAV) hat wiederholt mit Vehemenz auf den sich abzeichnenden Engpass bei der Verfügbarkeit von Arbeitskräften aufmerksam gemacht. Mit einer von der Credit Suisse publizierten Studie erhält er nun weiteren aufschlussreichen Support. Unter dem Titel «Arbeitskräfte gesucht» in der regelmässig publizierten Reihe «Monitor Schweiz» kommen die Ökonomen der Grossbank zum Schluss, dass Schweizer Unternehmen zunehmend Mühe bekunden, ihre offenen Stellen zu besetzen. Dabei fehlt es – trotz der rekordhohen Zahl an Beschäftigten – neben speziellen Fachkräften auch an Arbeitskräften insgesamt. Die Zahl der offenen Stellen ist im Vergleich zum Vorjahr um 17 Prozent gestiegen.

Die Gründe für den Arbeitskräftemangel sind in der alternden Gesellschaft, aber auch in der stark rückläufigen Nettozuwanderung aus wirtschaftlich wiedererstarkten Ländern wie Deutschland, Italien, Spanien oder Portugal zu suchen. Die Schweiz hat vor diesem Hintergrund keine Wahl: Sie muss ihr zweifellos vorhandenes inländisches Potenzial verstärkt ausschöpfen.

Der Schweizerische Arbeitgeberverband engagiert sich seit Jahren in diese Richtung, beispielsweise mit seiner Publikation «Brennpunkt Arbeitsmarkt». Die darin vorgenommene Analyse ergibt hauptsächlich bei Müttern ein grosses Potenzial. Sie und, in geringerem Ausmass, auch Väter partizipieren wegen der Kinderbetreuung – wenn überhaupt – häufig nur in tiefen Pensen im Arbeitsmarkt. Die stärkere Einbindung der Mütter würde zugleich unerwünschte Entwicklungen wie die Lohnunterschiede zwischen Frauen und Männern oder den zu geringen Pool an weiblichen Talenten für Führungsfunktionen nachhaltig und notabene ohne staatliche Eingriffe entschärfen.

Gefragt sind qualitativ gute und finanziell attraktive Drittbetreuungsangebote. Ihr Auf- und Ausbau darf von der Politik nicht mehr länger auf die lange Bank geschoben werden. Vor diesem Hintergrund sind die Zustimmung von 77,3 Prozent der Stadtzürcher Stimmberechtigten zu einem Kredit für den Ausbau von Tagesschulen und die Zustimmung des Nationalrats zur nochmaligen Verlängerung der Finanzhilfen für familienergänzende Kinderbetreuung äusserst erfreulich. Denn die Schweiz hat im internationalen Vergleich einen grossen Nachholbedarf, der sich auch in der hohen Teilzeitquote von Müttern zeigt. Ausserdem ist beinahe eine von zwei teilzeitarbeitenden Müttern in einem Pensum unter 50 Prozent tätig. Dabei sind sie überdurchschnittlich gut qualifiziert und nicht selten unterbeschäftigt. Jede vierte teilzeitarbeitende Mutter gibt als Begründung für ihr reduziertes Pensum zu teure bzw. ungeeignete Drittbetreuungsangebote an. Der SAV schätzt das zusätzliche Potenzial durch Pensenerhöhungen von teilzeitarbeitenden Müttern, die gerne mehr arbeiten würden, auf gegen 15’000 Vollzeitstellen. Die Studie der Credit Suisse legt zudem nahe, dass es bei den Nichterwerbspersonen ebenfalls mehrheitlich Frauen sind, die grundsätzlich für eine Arbeit verfügbar wären, jedoch aus diversen Gründen der Arbeit fernbleiben.

 

Gefragt sind qualitativ gute und finanziell attraktive Drittbetreuungsangebote. Hier hat die Schweiz im internationalen Vergleich einen grossen Nachholbedarf.

Den Luxus, hochqualifizierten Müttern und Vätern wegen eines unzureichenden Drittbetreuungsangebots den Zugang zum Arbeitsmarkt zu erschweren, kann sich die Schweiz auch vor dem Hintergrund des Arbeitskräftemangels je länger desto weniger leisten. Der Wirtschaftsstandort Schweiz gewinnt durch eine verbesserte Vereinbarkeit von Familie und Beruf zusätzlich an Attraktivität in einem zunehmend intensiveren internationalen Wettbewerb um Unternehmen und Arbeitsplätze. Die Verfügbarkeit von Fachkräften zählt inzwischen zu den wichtigsten Kriterien, weshalb Unternehmen in der Schweiz bleiben bzw. sich hierzulande niederlassen.