An allen Ecken und Enden fehlen Arbeitskräfte. Angesichts der Brisanz des Arbeitskräftemangels ist es erfreulich, dass sich die Politik zunehmend den Fragen der besseren Ausschöpfung des inländischen Arbeitskräftepotenzials annimmt. So wurde jüngst vermehrt über steuerliche Anpassungen zur Erhöhung der Arbeitsanreize diskutiert. Besonders ausführlich kam dabei der steuerliche Abzug für Vollzeitarbeitende zur Sprache.
Die Massnahme ist nicht zu Ende gedacht
Es ist unbestritten, dass der steuerliche Abzug bei Vollzeitarbeit zusätzliche Erwerbsanreize setzen würde. Der Preis dafür wäre jedoch hoch und die Verzerrungen im Steuersystem gravierend. So würde sich diese Massnahme überaus negativ auf das Steuersubstrat auswirken. Dies, weil auch Personen, die bereits heute Vollzeit arbeiten, steuerlich begünstigt würden und nicht nur diejenigen, die ihr Pensum auf 100 Prozent erhöhen.
Des Weiteren würde eine steuerliche Bevorteilung von Vollzeitarbeit unweigerlich zu ungewollten und problematischen Verzerrungen führen. Weshalb etwa soll die Pensenerhöhung von 80 auf 100 Prozent steuerlich begünstigt werden, jedoch nicht die Erhöhung von 60 auf 80 Prozent? Was für die Arbeitgeber zählt, ist die Mehrarbeit, die in beiden Fällen dieselbe ist. Ebenso würde die Steuerlast von der familieninternen Pensenaufteilung anhängig gemacht. So würde eine Familie, in der eine Person 100 und die andere 40 Prozent arbeitet, steuerlich bessergestellt, während die Steuerlast für eine Familie mit der Pensenaufteilung 80 und 60 Prozent beim Alten bliebe. Auch dafür gibt es keine Rechtfertigung, denn letztlich wäre dies ein Eingriff in den innerfamiliären Entscheid, wie die Pensen aufgeteilt werden. Aus liberaler Sicht ist ein solcher Eingriff klar abzulehnen.
Ein Blick auf die Arbeitsmarktzahlen zeigt, dass fast 6 von 10 Frauen Teilzeit arbeiten. 40 Prozent davon sind in einem tiefen Pensum von unter 50 Prozent tätig. Aus der wissenschaftlichen Literatur ist bekannt, dass Frauen in tiefen Pensen stärker auf Arbeitsanreize ansprechen als Frauen in bereits hohen Pensen. Hingegen sprechen steuerliche Anreize für Vollzeitarbeitende vor allem Frauen an, die bereits heute in hohen Arbeitspensen arbeiten. Der Effekt einer solchen Massnahme dürfte somit bescheiden ausfallen. Vielsprechender sind Massnahmen, die auch Frauen in tieferen Arbeitspensen einen Anreiz geben, ihre Arbeitsmarktbeteiligung zu erhöhen.
Wirksamere Massnahmen liegen auf dem Tisch
Es gibt im Steuerbereich durchaus Massnahmen, die Anreize für eine höhere Erwerbsbeteiligung schaffen würden. Die Voraussetzung, dass diese Anreize unabhängig vom bisherigen Arbeitspensum gegeben sein müssen, ist dabei unerlässlich. Mit der Einführung einer Individualbesteuerung etwa würde die antiquierte Benachteiligung von zweitverdienenden Ehepartnern gegenüber den Hauptverdienern über alle Arbeitspensen hinweg eliminiert. Schätzungen gehen davon aus, dass dadurch bis zu 60’000 zusätzliche vollzeitäquivalente Arbeitskräfte gewonnen werden könnten.
In diesem Zusammenhang gilt es immer zu bedenken, dass das heutige Steuersystem aus einer Zeit stammt, in der praktisch alle Erwerbstätigen in einem Vollzeitpensum arbeiteten und Familien meist von einem Alleinverdiener – fast ausschliesslich den Männern – abhängig waren. Die heute gelebte Realität hat damit nur noch wenig zu tun. Angesichts dessen wäre es an der Zeit, das Steuersystem dahingehend anzupassen, dass es dem Umstand der stark gestiegenen Teilzeitquote Rechnung tragen würde. Im Fokus steht dabei die Progression: Sie führt dazu, dass eine Pensenreduktion je nach Ausgangslage rational sein kann. Dies, weil die Steuerlast bei einer Reduktion des Arbeitspensums überproportional stark sinkt, während die Einkommen linear mit der Pensenreduktion zurück gehen.
Teilzeitarbeit hat durchaus ihre Berechtigung. So zählen etwa Betriebe im Detailhandel und anderen Branchen darauf, dass sie Arbeitskräfte in Teilzeitpensen rekrutieren können. Auch ermöglicht die Teilzeitarbeit vielen Frauen den Schritt zurück in den Arbeitsmarkt. Trotzdem stellt sich die Frage, wie die Anreize im heutigen Steuersystem so geschaffen werden können, dass sich Mehrarbeit in einem stärkeren Mass als heute lohnt. Ein wichtiger, von der Politik bereits erkannter Schritt, ist die Einführung einer Individualbesteuerung. Ebenfalls müsste eine Revision des heutigen Steuersystems geprüft werden. Hauptsächlich aber müssen wir die Rahmenbedingungen so verbessern, dass wir Personen, die nachweislich gerne mehr arbeiten würden, nicht durch unnötige Hürden davon abhalten. Dazu gehören mehr bezahlbare Kinderbetreuungsangebote oder höhere Erwerbsanreize für die Arbeit über das ordentliche Pensionsalter hinaus, um wichtige Massnahmen beim Namen zu nennen.