Von Zielen und Sorgen der Schweiz

10. Dezember 2019 Meinungen

Mit dem Institutionellen Rahmenabkommen (InstA) und der Kündigungsinitiative der SVP hat sich die Schweiz im ersten Halbjahr 2020 gleich zweimal die Gretchenfrage zu stellen: Wie soll sich unser Binnenland künftig gegenüber seinem grössten Handelspartner, der EU, positionieren? Bundespräsident Ueli Maurer sah sich Anfang Dezember bei der Präsentation der bundesrätlichen Jahresziele 2020 gezwungen, die Worte seines Amtskollegen Alain Berset vor rund einem Jahr zur Europapolitik zu wiederholen: Es muss eine Lösung gefunden werden, damit der bilaterale Weg fortgeführt werden kann. Die Kurzform: Man ist bemüht.

Fakt ist, dass sich im Jahr 2019 beim InstA, einem für die Schweiz zentralen Geschäft, praktisch nichts bewegte. Der Schweizerische Arbeitgeberverband (SAV) machte im Rahmen der bundesrätlichen Konsultation Mitte April klar, dass es für einen erfolgreichen Abschluss des Rahmenabkommens einen detaillierten inhaltlichen und zeitlichen Positionsbezug und eine zielgerichtete Führung durch den Bundesrat braucht. Beides fehlt noch immer. Die Position der Arbeitgeber ist hingegen klar: Sie wollen das Lohnschutzniveau der FlaM gewährleisten und am bewährten dualen Vollzugssystem festhalten.

 Die Verhandlungen zum InstA werden durch die Kündigungsinitiative der SVP (Volksinitiative «Für eine massvolle Zuwanderung») verzögert. Spätestens bis zum Abstimmungstermin über die Volksinitiative – voraussichtlich im Mai 2020 – muss sich die Schweiz eine konsolidierte Meinung in den noch offenen Themen Unionsbürgerrichtlinie, staatliche Beihilfen und FlaM bilden, um sie hernach bei der EU zu deponieren. Die Befürworter der Kündigungsinitiative schüren bewusst Ängste in der Bevölkerung. Es wird das Bild der Verdrängung der einheimischen Arbeitnehmer durch Arbeitszuwanderer gemalt und eine eigenständige Regelung der Zuwanderung von Ausländern in die Schweiz ohne Personenfreizügigkeit verlangt. Die Zahlen entlarven diese Kritik als Zerrbild: Die Arbeitslosigkeit ist in der Schweiz historisch tief und die auch vom Bundesrat für das Jahr 2020 priorisierte Digitalisierung hat – entgegen vieler Befürchtungen – in den letzten Jahren das Stellenwachstum begünstigt, nicht etwa zu einer «Wegautomatisierung» von Arbeitsplätzen geführt.

 

Ob in der Europapolitik oder bei der Digitalisierung des Schweizer Arbeitsmarkts: Politik und Wirtschaft tun gut daran, keine Ängste zu schüren, sondern Herausforderungen aufzuzeigen, anzugehen und sich auf Chancen einzulassen.

Das Credo lautet – und dies haben die Arbeitgeber erkannt –, dass auf die Technologisierung der Arbeitswelt mit Weiterbildung rasch reagiert werden und Veränderungen im Stellenprofil noch besser antizipiert werden müssen. Gemäss des jüngsten Sorgenbarometers der Credit Suisse nimmt die Sorge um einen Arbeitsplatzverlust aufgrund der Digitalisierung markant ab. Obwohl derzeit breit diskutiert wird, wie die Digitalisierung die Arbeitswelt verändert und ob sie allenfalls Arbeitsstellen überflüssig machen könnte, ist die Einstellung der Befragten gegenüber den neuen technischen Errungenschaften pragmatisch bis positiv. Über 60 Prozent der Befragten bejahen die Aussage, dass die Digitalisierung die Lebensqualität optimiert und die Arbeitsbedingungen verbessert.

Für die Beschäftigten und die Arbeitgeber bedeutet die Digitalisierung ohne Wenn und Aber, dass sie sich rascher den sich ändernden beruflichen Anforderungen anpassen müssen. Die Bedeutung des lebenslangen Lernens nimmt zu, worauf der SAV und digitalswitzerland mit der nationalen Kampagne «LifelongLearning» reagiert haben. Damit alle Erwerbstätigen ihre Arbeitsmarktfähigkeit erhalten können, brauchen wir geeignete Rahmenbedingungen – auf dem Arbeitsmarkt, im Bildungssystem und in den Sozialversicherungen. Nur so können die Chancen der Digitalisierung zugunsten der Sicherung des Wohlstands genutzt werden. Dazu gehört auch, dass die Arbeitsbedingungen ohne dogmatische Fixierung auf bisherige Regelungen den veränderten Anforderungen angepasst werden können.

Ob in der Europapolitik oder bei der Digitalisierung des Schweizer Arbeitsmarkts: Politik und Wirtschaft tun gut daran, keine Ängste zu schüren, sondern Herausforderungen aufzuzeigen, anzugehen und sich auf Chancen einzulassen. Wir freuen uns demnach auf viele gute Neujahrsvorsätze unserer Mitglieder.