IV-Revision zielt an der Realität vorbei

7. März 2019 News

Um den Schuldenberg der IV weiter abzutragen, beschliesst der Nationalrat eine zusätzliche Entlastungsmassnahme. Angesichts von Schulden von über zehn Milliarden Franken reicht das jedoch bei Weitem nicht. Zudem stösst die Einführung einer «IV-Quote light» bei den Arbeitgebern auf Unverständnis.

In seiner Beratung der IV-Weiterentwicklung hält der Nationalrat am Kurs fest, die berufliche Eingliederung weiter zu stärken. Gerade unter 30-Jährige und Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen sollen gezielter in den Arbeitsmarkt integriert werden. Die Arbeitgeber unterstützen den Ansatz, das Eingliederungspotenzial noch besser zu nutzen und leisten als Patronatsgeber von Compasso einen wichtigen Beitrag dazu. Das Netzwerk fördert die Koordination der Akteure, entwickelt praxistaugliche Instrumente für KMU und sensibilisiert Arbeitgeber. Nicht zuletzt deshalb hat die berufliche Eingliederung von Menschen mit Beeinträchtigung in den letzten Jahren Fahrt aufgenommen. Gemäss IV-Stellen-Konferenz konnten seit 2012 rund 114’000 bei der IV registrierte Personen ihre Arbeitsstelle behalten oder eine neue Stelle finden – Tendenz steigend.

Demgegenüber taugt ein staatliches Korsett nicht für die Praxis und gefährdet die eingespielte Zusammenarbeit der Akteure, deren Stärke in den bedarfsgerechten und flexiblen Strukturen liegt. Umso unverständlicher ist der mit 95 zu 93 Stimmen äusserst knappe Entscheid des Nationalrats zugunsten einer neuen Idee, wonach der Bundesrat die Dachverbände der Arbeitswelt mit verbindlichen quantitativen Eingliederungszielen gesetzlich zur Zusammenarbeit verpflichten kann. Eine solche «IV-Quote light» ignoriert den nachweislichen Kooperationserfolg der Akteure der beruflichen Eingliederung. Zudem ist bis heute völlig unklar, wie ein solches Modell in der Praxis umgesetzt werden soll.

Ebenfalls kritisch beurteilen die Arbeitgeber den vom Nationalrat befürworteten Wechsel zu einem stufenlosen Rentensystem, in dem bereits ab einem IV-Grad von 70 Prozent eine volle Rente gesprochen wird. Das System müsste mindestens so angepasst werden, dass eine volle Rente erst ab einem IV-Grad von über 80 Prozent ausgerichtet wird. Nur dann wirken die finanziellen Erwerbsanreize in einem stufenlosen Rentensystem optimal, wie eine Studie im Auftrag des BSV zeigt. Ansonsten rechtfertigt sich der hohe Umstellungsaufwand nicht, und es drohen sogar Mehrkosten für die IV.

Positiv werten die Arbeitgeber, dass sich der Nationalrat für eine Anpassung der Zulagen für IV-Rentner mit Kindern von 40 auf 30 Prozent einer Rente ausgesprochen hat. Damit erfüllt er auch eine explizite Forderung der Arbeitgeber, um Fehlanreize zu korrigieren, die der beruflichen Eingliederung von kinderreichen Versicherten zuwiderlaufen. Die Arbeitgeber haben schon vor Längerem mit einer Studie auf diesen Handlungsbedarf hingewiesen.

Mit dieser letzten Massnahme ergänzt der Nationalrat die Vorlage gleichzeitig um eine dringend benötigte finanzielle Entlastung der IV um 67 Millionen Franken. Entgegen der Behauptung des Bundesrats ist die IV nicht saniert. Im Gegenteil: Der Abbau der Schulden der IV bei der AHV, die noch immer über zehn Milliarden Franken betragen, verzögert sich immer weiter, inzwischen bis in die 2030er-Jahre hinein. Gemäss Ausgleichsfonds AHV/IV/EO (compenswiss) ist die «Rückzahlung der IV-Schulden vorübergehend in den nächsten Jahren unwahrscheinlich». Entsprechend verpasst es der Erstrat, die bundesrätliche Vorlage der veränderten finanziellen Situation anzupassen und zusätzliche Entlastungsmassnahmen vorzusehen.