«Die Berufsbildung bedarf keiner Revolution, aber Anpassungen»

26. Oktober 2018 5 Fragen an...

Die Kantone sind verantwortlich für die Umsetzung der beruflichen Ausbildung und damit zentrale Akteure im Berufsbildungssystem. Ihr strategisches und operatives Organ, die Schweizerische Berufsbildungsämter-Konferenz (SBBK), wird seit Kurzem von Christophe Nydegger präsidiert. Der Chef des Freiburger Amts für Berufsbildung spricht im Interview über die zunehmende Bedeutung der Berufsberatung, die Rolle der Arbeitgeber in der Verbundpartnerschaft und seine prioritären Ziele im neuen Amt.

Die Strategie «Berufsbildung 2030» zeichnet die Entwicklung der nächsten Jahre in diesem Bildungsbereich vor. Wie beurteilen Sie aus Sicht der Kantone die Zukunft des Berufsbildungssystems?
Das Schweizer Berufsbildungssystem funktioniert sehr gut. Es braucht deshalb auch keine Revolution, jedoch sind Anpassungen notwendig, beispielsweise bei der Berufsberatung für Erwachsene. Heute üben immer weniger Menschen während des ganzen Lebens ihren angestammten Beruf aus. Die Digitalisierung führt dazu, dass Berufe verschwinden werden und die Bedeutung der Weiter- und Höherbildung zunimmt. Das Angebot der Berufsberatung muss entsprechend vergrössert werden. Eine weitere Überlegung wäre ein gemeinsamer Ausbildungsteil mehrerer Berufe, zum Beispiel aller Holzberufe, in den ersten beiden Lehrjahren vor der berufsspezifischen Spezialisierung ab dem dritten Lehrjahr. Wir haben in der Schweiz sehr viele Berufe, auf diese Weise liessen sich Synergien nutzen. Ebenfalls beschäftigt die Kantone die bessere Vernetzung untereinander. Wir führen derzeit ein neues Programm mit diesem Ziel ein. Ein Beispiel: Heute muss ein Unternehmen, das in sieben Kantonen tätig ist, sieben verschiedene Formulare für das Internetportal der Berufsberatung ausfüllen. Das wollen wir vereinfachen.

Welche Noten geben Sie der Verbundpartnerschaft in der Berufsbildung, also der Zusammenarbeit von Bund, Kantonen und Arbeitgeber- wie Arbeitnehmerorganisationen?
Die partnerschaftliche Zusammenarbeit ist in der Berufsbildung stark verankert; wir haben sie sozusagen im Blut und sind es gewohnt, Kompromisse zu finden. Ein Beispiel dieser eingespielten Zusammenarbeit ist der Strategieprozess «Berufsbildung 2030»: Alle Seiten konnten sich von Anfang an mit ihren Ideen einbringen. Die Kantone legten beispielsweise Wert darauf, dass der allgemeinbildende Unterricht neben dem fachspezifischen nicht zu kurz kommt. Die Rolle der Arbeitgeber ist es, zu sagen, was der Arbeitsmarkt braucht. Denn Ausbildungsinhalte, die den Bedürfnissen des Arbeitsmarkts entsprechen, sind der Schlüssel für den Erfolg der Berufsbildung. Auf Bundesebene funktioniert dies gut, auf Kantonsebene stellen wir fest, dass die Organisationen der Arbeitswelt nicht immer ausreichend involviert sind.

Unlängst ist erneut die Diskussion über die Bedeutung des gymnasialen Werdegangs einerseits und der Berufsbildung andererseits entflammt. Inwiefern beschäftigt diese Frage auch die Kantone?
Die Anteile sowohl des gymnasialen als auch des berufsbildenden Wegs waren in den letzten Jahren stabil. Solange dies so bleibt, sehen wir keinen Handlungsbedarf. Wir stellen aber fest, dass Familien mit Migrationshintergrund wie auch Familien mit Akademikereltern die Berufsbildung zu wenig bekannt ist. Wir wollen diese Zielgruppen in Zukunft noch besser informieren. Wichtig ist in dieser Diskussion aber primär, dass jeder Jugendliche den zu seinen Fähigkeiten passenden Bildungsweg einschlagen kann.

Sie sind seit Kurzem Präsident der Schweizerischen Berufsbildungsämter-Konferenz. Was haben Sie sich für die bevorstehende Amtszeit vorgenommen?
Die SBBK hat ihre eigene, auf die Strategie «Berufsbildung 2030» abgestimmte Vision. Daraus leiten sich verschiedene Ziele ab, wobei ich die folgenden besonders hervorhebe: Zum einen streben wir eine Beschleunigung der Prozesse an. Kürzlich haben wir innert Monaten einen neuen Beruf, den Chemie- und Pharmapraktiker mit eidgenössischem Berufsattest, auf die Beine gestellt. Das zeigt, wie schnell es gehen kann, wenn ein Bedürfnis vorhanden ist. So wäre auch zu begrüssen, Berufe in sich schnell wandelnden Branchen wie beispielsweise der Informatik künftig bei Bedarf häufiger als nur alle fünf Jahre zu revidieren. Zum anderen wollen wir die Integration ausländischer Jugendlicher in den Arbeitsmarkt vorantreiben. Denn es zahlt sich für alle aus, wenn diese eine solide Ausbildung durchlaufen, sich in den Arbeitsmarkt integrieren und dadurch unabhängig vom Sozialsystem sind.

Apropos: Wie ist aus Ihrer Sicht das Pilotprojekt der Integrationsvorlehre für anerkannte Flüchtlinge und vorläufig aufgenommene Personen gestartet?
18 Kantone bieten seit diesem Sommer die Integrationsvorlehre an, mit dem Ziel, die Teilnehmenden in einem Jahr zur Aufnahme einer Berufslehre zu befähigen. Teilweise konnten alle verfügbaren Plätze besetzt werden, teilweise müssen die Kantone noch mehr Arbeitgeber für Betriebseinsätze gewinnen. Ich bin aber optimistisch, dass dies gelingt. Den Betrieben steht, zum Beispiel im Kanton Freiburg, ein Coach zur Verfügung, an den sie sich bei jeglichen Fragen wenden können. Dadurch verringert sich ihr Aufwand. Das Projekt stellt zudem für Branchen mit Lehrlingsmangel eine Möglichkeit dar, geeignete Lernende zu finden.