Von Wünschbarem und Machbarem

10. September 2019 Meinungen

Eine Volksinitiative, ein indirekter Gegenvorschlag, eine Motion: Gleich dreimal werden die Eidgenössischen Räte während der Herbstsession 2019 über die Forderung nach einem Vaterschafts- respektive Elternurlaub debattieren. Darob kann man leicht den Überblick verlieren. Wir machen deshalb eine Einordnung und stellen eine Lösung vor, die ohne volkserzieherische Gesetze auskommt.

Zuerst blicken wir auf die Volksinitiative «Für einen vernünftigen Vaterschaftsurlaub – zum Nutzen der ganzen Familie» (18.052), die der grossen Kammer als Zweitrat vorliegt. Die Initianten wollen den Bundesrat dazu verpflichten, einen mindestens vierwöchigen Vaterschaftsurlaub einzuführen – flächendeckend. Finanziert werden soll dieser über die Erwerbsersatzordnung (EO), was gemäss Einschätzungen des Bundesamts für Sozialversicherungen zu jährlichen Kosten von gegen 420 Millionen Franken führen dürfte.

Diesem Antrag steht der indirekte Gegenvorschlag der Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Ständerats gegenüber (18.441). Danach soll Vätern ein zweiwöchiger, über die EO gedeckter Urlaub innert den ersten sechs Monaten nach Geburt des Kindes zur Verfügung stehen. Dieser Urlaubsanspruch soll in Einzeltagen oder am Stück eingelöst werden können. Um diesen jährlich gut 224 Millionen Franken teuren Budgetposten stemmen zu können, müssten die Beiträge der EO um 0,05 Prozent erhöht werden. Hinzu kommt beim indirekten Gegenvorschlag ein im Obligationenrecht verankerter Ausbau des Kündigungsschutzes. Konkret: Hat ein junger Vater, der im gekündigten Verhältnis steht, seinen Anspruch auf Vaterschaftsurlaub noch nicht geltend gemacht, soll das Anstellungsverhältnis um mindestens diese 14 Tage verlängert werden. Weil in der Schweiz kaum ein Arbeitgeber die Arbeitsverhältnisse während des Monats auflöst, führt das de facto zu einer Verlängerung der Kündigungsfrist von einem ganzen Monat.

Als der Ständerat den indirekten Gegenvorschlag favorisiert hat, war die Richtung vorgegeben. Genau jetzt schaltet sich jedoch die FDP mit einer dritten Variante ein. Sie will mit einer Motion (19.3738) auf Selbstbestimmung im Familienkreis setzen. Dafür soll der bestehende Mutterschaftsurlaub durch einen «flexiblen», 16-wöchigen Elternurlaub ersetzt werden. Die Idee: Werden sich die Eltern einig, sind die ersten acht Wochen nach der Geburt der Mutter vorbehalten, die Restzeit wird «einvernehmlich» aufgeteilt. Diese Diskussion um Gleichberechtigung und Organisation der Vereinbarkeit von Familie und Beruf muss nach unserer Ansicht zwar genau hier, im Privaten, stattfinden. Doch finden die Eltern keine Lösung, greift die FDP-Variante ein. Der Mutter stehen bei Nichteinigung 14 Wochen Urlaub zu, dem zweiten Elternteil 14 Tage. Die Sozialversicherer und Arbeitgeber werden auf diesen Vorschlag aufgrund des administrativen Mehraufwands bestimmt keine Lobeshymnen anstimmen.

 

Der Schweizerische Arbeitgeberverband erkennt bei den drei Geschäften mit denselben Anliegen drei Grundsatzprobleme: Das Instrumentarium, die mangelnde Vergleichbarkeit der Argumentation und die Kosten.

Drei Geschäfte, ein Ziel: So könnte man das gleichzeitige Auftreten dieser Anträge interpretieren. Es dürfte allerdings viel eher taktischer Natur sein, dass sich die FDP erst jetzt einschaltet, nachdem sich der Erstrat für den zweiwöchigen Vaterschaftsurlaub ausgesprochen hat. Das Aufgreifen eines aktuellen gesellschaftlichen Themas dürfte zwar der Partei helfen, Sympathiepunkte zu sammeln. Doch der pragmatisch denkende Parlamentarier wird dazu neigen, die einfachere Variante des indirekten Gegenvorschlags zu unterstützen.

Der Schweizerische Arbeitgeberverband erkennt bei den drei Geschäften mit denselben Anliegen drei Grundsatzprobleme: Das Instrumentarium, die mangelnde Vergleichbarkeit der Argumentation und die Kosten. Alle drei Vorstösse appellieren an den Arm des Gesetzes. Derweil wird die «Regulierungswut» in Bundesbern seit Jahren kritisiert. In Erinnerung bleibt eine Interpellation aus dem Jahr 1997, als Alt-FDP-Nationalrat Adriano Cavadini sein Unbill zur «Flut von Gesetzen, Verordnungen und Weisungen» (97.3178) ausgedrückt hat. Hier stossen wir auf des Pudels Kern. Wenn die Politik mit gesetzlichen Einheitsverpflichtungen die strategische und operative Freiheit der einzelnen Unternehmen noch mehr einschränkt, verschlechtert dies die Wettbewerbsfreiheit und die Innovationskraft des Arbeits- und Denkplatzes Schweiz.

Fehl am Platz sind zudem Argumente, wonach die Schweiz bei Ausbauvorhaben des Sozialstaats im internationalen Vergleich hinterherhinke. Die skandinavischen Länder können beim staatlich geregelten Vaterschaftsurlaub als Pioniere gelten, weil sie unter anderem über eine anders geartete Binnenwirtschaftsstruktur verfügen. Im KMU-Land Schweiz beschäftigen 90 Prozent der Unternehmen zwischen einem und zehn Mitarbeiter. Nur wenige Arbeitgeber verfügen also über die zusätzlichen Ressourcen, um nebst den «regulären» auch noch die Abwesenheiten wegen Vaterschaftsurlauben zu organisieren und zu finanzieren.

Diese Mikrounternehmen können die minimen Anstiege der EO-Beiträge verkraften, heisst es leichtfertig aus Politikerkreisen. Sie blenden einfach aus, dass auch diese Mehrbelastung im Gesamtzusammenhang gesehen werden muss: Es gibt derzeit eine lange Wunschliste nach weiteren Gesetzgebungsprojekten zur Leistungserweiterung der Sozialversicherungen. Hier seien stellvertretend die EO-finanzierten Vorhaben genannt: Ein Adoptionsurlaub, die Einführung eines entschädigten Betreuungsurlaubs für erwerbstätige Eltern von akut kranken Kindern sowie eine Verlängerung der Mutterschaftsentschädigung bei einem längeren Spitalaufenthalt des Neugeborenen. Zusätzlich soll auch die arbeitsvertragliche Lohnfortzahlungspflicht des Arbeitgebers ausgebaut werden; aktuell für die Betreuung kranker Familienmitglieder.

 

Es gibt derzeit eine lange Wunschliste nach weiteren Gesetzgebungsprojekten zur Leistungserweiterung der Sozialversicherungen.

Verstehen Sie uns nicht falsch: Alle diese Anliegen haben für sich genommen ihre Berechtigung. Doch allein zur Sicherung der AHV-Renten auf dem bisherigen Niveau stehen uns Mehrbelastungen in Milliardenhöhe ins Haus. Unsere Politik ist deshalb dazu angehalten, das grosse Ganze im Auge zu behalten, das Wünschbare vom Machbaren zu unterscheiden und mit Augenmass zu regulieren.

In diesem Spannungsfeld fordern die Arbeitgeber, auf Freiwilligkeit zu setzen. Angesichts des sich verschärfenden Fachkräftemangels sind Schweizer Unternehmen gezwungen, ihre Arbeitsbedingungen anzupassen und den Ansprüchen nach modernen Arbeitsformen gerecht zu werden. Doch dies muss nach den betrieblichen Möglichkeiten und im Dialog mit dem Arbeitnehmer geschehen, nicht mit einem staatlichen Korsett. Diverse Arbeitgeber beweisen, dass die Schweizer Unternehmen ihre Verantwortung wahrnehmen und autonom über die Einführung, Länge und Ausgestaltung eines Vaterschaftsurlaubs entscheiden können. Ob ein Grossarbeitgeber wie die Novartis, die hierzulande 18 Wochen bezahlte Elternzeit gewährt, oder mittelgrosse Betriebe wie das Unispital Genf (zehn Tage), die Städte Bern, Lausanne oder St. Gallen (20 Tage): Die Arbeitgeber werden eigenständig aktiv. Und die KMU ziehen nach ihren Möglichkeiten mit, ob mit einem Vaterschaftsurlaub oder mit weiteren Zugeständnissen an ihre Mitarbeiter wie flexible Arbeitszeiten oder Homeoffice (siehe exemplarisch Podcast «Zentralschweizer Unternehmen und Vaterschaftsurlaub»).