Erneuter Angriff auf die Bilateralen

4. August 2023 Meinungen
Von Simon Wey

Zuwanderungskritische Kreise bewirtschaften erneut das Migrationsthema und machen Stimmung gegen das Personenfreizügigkeitsabkommen und eine offene Schweiz. Dabei ist Offenheit ein wichtiger Erfolgsfaktor und trägt massgeblich zum hohen Wohlstand der Schweiz bei. Der Arbeitskräftebedarf der Schweizer Wirtschaft ist schlicht zu gross, als dass dieser allein mit inländischem Personal gedeckt werden könnte. Zudem stocken die Bemühungen der Umsetzung von Massnahmen für eine bessere Ausschöpfung im Inland – auch weil diesbezüglich dieselben zuwanderungskritischen Kreise sehr oft quer stehen.

Die SVP bewirtschaftet erneut ihr Lieblingsthema – die Migration. Dabei behauptet sie wider besseren Wissens, in der Schweiz gebe es ein «Zuwanderungs-Desaster». Faktenwidrig wird behauptet, «vier von fünf Zuwanderern» seien keine Fachkräfte, wenn gemäss einer Erhebung des Bundesamts für Statistik BFS von 2020 über die Hälfte der Zuwanderer aus EU/EFTA-Staaten über einen tertiären Abschluss verfügt.

Die vermeintliche Lösung der Volkspartei ist brachial; Schaden an der Wirtschaft und eine Senkung des Wohlstands werden wissentlich in Kauf genommen. Zur «Abschottung» des Landes ist ihr jedes Mittel recht und so kulminiert der neueste Versuch in der vor kurzem lancierten Initiative «Keine 10-Millionen-Schweiz!». Diese sieht vor, das Personenfreizügigkeitsabkommen (PFZA) mit der Europäischen Union aufzukündigen, sobald die ständige Wohnbevölkerung der Schweiz neuneinhalb Millionen Menschen erreicht hat. Als Folge der Guillotineklausel würden mit der Kündigung des PFZA automatisch auch die sechs anderen Verträge der Bilateralen I wegfallen. Die Folgen wären verheerend, weshalb der Name «Nachhaltigkeitsinitiative» ein   Etikettenschwindel ist. Dem schädlichen Inhalt des Anliegens viel mehr Rechnung tragen würde der vielerorts kursierende Name «Kündigungsinitiative 2». Bereits einmal stimmte das Schweizer Stimmvolk im Jahr 2020 über ein ganz ähnliches Unterfangen ab. Das Plebiszit zur Kündigungsinitiative 1 war glasklar: Mit satten 61,7 Prozent NEIN-Anteil wurde das PFZA und somit der bilaterale Weg erneut bestätigt.

Personenfreizügigkeit sichert Wohlstand, Prosperität und Lebensqualität

Der Schweizerische Arbeitgeberverband (SAV) lehnt eine  Abschottung der Schweiz, wie sie diese Initiative zur Folge hätte, entschieden ab. Denn ohne Zuwanderung könnten auch Schweizerinnen und Schweizer nicht vom heutigen Wohlstand, der Prosperität und der Lebensqualität hierzulande profitieren.

Dem Zuwanderungsregime mit EU/EFTA-Ländern ist es zu verdanken, dass die Wirtschaft fein austariert und nahezu perfekt arbeitsmarktbezogen auf wertvolle ausländische Arbeitskräfte zurückgreifen kann.  Der diesjährige Observatoriumsbericht des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco) zeigte zum wiederholten Mal, wie stark und ausgewogen die einheimische Bevölkerung von den Produktionsgewinnen als Folge der Zuwanderung profitiert. Dies etwa in Form eines substanziellen Lohn- und Wohlstandswachstums über die letzten 20 Jahre. Es steht für den SAV deshalb ausser Frage, dass die Schweiz trotz aller Bemühungen zur Ausschöpfung des inländischen Arbeitskräftepotenzials auch in Zukunft auf eine arbeitsmarktbezogene Zuwanderung aus EU/EFTA-Ländern angewiesen ist.

Das PFZA ermöglicht es den Schweizer Unternehmen, über die Rekrutierung im Inland hinaus leichter auf das Potenzial an Arbeitskräften aus dem EU-Raum zurückzugreifen. Gebrauch gemacht wird hiervon vor allem zur Deckung des Bedarfs an qualifizierten, oftmals spezialisierten Fachkräften. Aber auch zur Besetzung von Stellen auf mittlerer bis niedriger Qualifikationsstufe erweist sich die Rekrutierung im EU-Ausland zunehmend als wichtig: So etwa in Handwerks- oder auch in Verkaufsberufen, wo sich Schweizerinnen und Schweizer zunehmend höher qualifizieren und viele dieser Stellen ohne Zuwanderung offen bleiben würden.

Wie finanziell einschneidend lange Vakanzdauern sind, zeigt eine Studie des SAV zusammen mit der Konjunkturforschungsstelle KOF und BSS Basel. Diese berechnet, dass sich die Kosten von übermässig langen Wartezeiten bei der Besetzung von Stellen auf einen gesamtwirtschaftlichen Wertschöpfungsverlust von schätzungsweise 0,66 Prozent des jährlichen Schweizer BIP belaufen. Dies entspricht rund 5 Milliarden Schweizer Franken.

Abschottung gefährdet unseren Wohlstand

Können Unternehmen ihren Bedarf an Arbeitskräften nicht auch im Ausland decken, so gefährdet dies nicht nur die Attraktivität des Wirtschaftsstandorts Schweiz, sondern es führt auch zu einem substanziellen Wohlstandsverlust der einheimischen Bevölkerung. Einen kleinen Vorgeschmack davon, was ohne Zuwanderung aus EU/EFTA-Ländern folgen könnte, kann bereits heute am eigenen Leib erfahren werden. So etwa, wenn Restaurants auf Selbstbedienung umstellen; der Taktfahrplan der Bahn ausgedünnt wird oder Haushalte monatelang auf einen Handwerker warten, der oder die das Lavabo oder die WC-Spülung reparieren soll. Das kann niemand wollen.