Stabile Beziehungen mit der Europäischen Union (EU) sind nicht nur für die Wirtschaft, sondern auch für die ganze Schweiz von elementarer Bedeutung. Seit der Bundesrat die Verhandlungen über ein Rahmenabkommen mit der EU im Mai 2021 abgebrochen hat, herrscht in der Schweizer Europapolitik jedoch nahezu Stillstand. Dieser Status Quo ist für die Weiterführung des bilateralen Wegs auf Dauer keine Lösung und deren Folgen sind in vielen Bereichen spürbar. Die Energiemangellage führt vor Augen, wie wichtig ein Strommarktabkommen mit der EU wäre. Die Schweiz hat weiterhin nicht den vollen Zugang zum EU-Forschungsprogramm Horizon. Die daraus resultierende Situation stellt den Wohlstand aller aufs Spiel.
Eine Frage, die angesichts dieser Tatsache die ganze Schweiz umtreibt, ist, wie ein Neuanfang bei der europäisch-schweizerischen Beziehung gelingen kann. Die Allianz stark + vernetzt möchte ihren Teil dazu beitragen und hat eine Event-Reihe lanciert, bei welcher mithilfe von konstruktiven Diskussionen mögliche Lösungsansätze gefunden werden sollen. Der Schweizerische Arbeitgeberverband (SAV) ist Partner der Allianz und hat bei der ersten Veranstaltung in Zürich mitgewirkt.
Einer der zentralen Knoten, den es im Hinblick auf neue Verhandlungen zu lösen gilt, ist der Lohnschutz. Dieser hat nicht zuletzt aufgrund des hohen Lohnniveaus einen grossen Stellenwert in der Schweiz. So waren die flankierenden Massnahmen, welche die Einhaltung des Lohnschutzes gewährleisten sollen, mit ein Grund für den letzten Verhandlungsabbruch. Der Lohnschutz stand beim ersten Podium der stark + vernetzt Eventreihe daher auch im Mittelpunkt. Dabei trafen die Sozialpartner zum ersten Mal seit Langem zu diesem Thema wieder aufeinander.
Mit SAV-Direktor Roland A. Müller und Daniel Lampart, Chefökonom des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes, konnten zwei zentrale Figuren der Sozialpartnerschaft an einen Tisch gebracht werden. Schnell zeigte sich, dass es neben Differenzen durchaus auch gemeinsame Standpunkte gibt. So begrüssen beide Parteien die innenpolitischen Sondierungen des Bundesrates und dass er ein Sounding-Board ins Leben rief, bei dem neben den Sozialpartnern weitere innenpolitische Akteure vertreten sind. Dies ist wichtig, um die innenpolitischen Wogen im Hinblick auf weitere Gespräche zu glätten.
Es zeigte sich auch, dass beide Parteien im Grundsatz dasselbe Ziel verfolgen: Das Lohnschutzniveau in der Schweiz muss unbedingt gehalten werden. Differenzen zeigen sich jedoch bei den möglichen Massnahmen: So fordert Roland A. Müller Diskussionsbereitschaft vonseiten der Gewerkschaften. Die Bereitschaft, EU-kompatible Massnahmen zu akzeptieren, sei hierfür zentral. «Der Lohnschutz in der EU verbessert sich ebenfalls. Es gibt Massnahmen, die für beide Seiten kompatibel sind und den Lohnschutz auch bei uns garantieren können», so Müller.
Nun gelte es, sich gemeinsam mit den Gewerkschaften an einen Tisch zu sitzen und alle Massnahmen kritisch zu hinterfragen, meinte Roland A. Müller. Hierzu brauche es allerdings einen Verhandlungs-Auftrag des Bundesrates an die Sozialpartner.
Der Chefökonom des Gewerkschaftsbundes, Daniel Lampart, erwiderte einmal mehr, der Lohnschutz sei nicht verhandelbar. Er merkte allerdings auch an, die Zeiten würden sich ändern. Man darf gespannt sein, ob die Gewerkschaften ihre jahrelange Blockadepolitik beim Lohnschutz nun doch überdenken.
Bei einem Punkt waren sich alle Anwesenden einig: Nur wenn der Knoten beim Lohnschutz gelöst wird, kann es bei der Weiterentwicklung der Beziehungen zur Europäischen Union echte Fortschritte geben.