Flexibles Rentenalter lohnt sich für alle

Die Flexibilisierung des Rentenalters ist eine zentrale Massnahme, um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken. Arbeiten im Alter wird wichtiger denn je.

Die Flexibilisierung des Rentenalters wird vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung und des Fachkräftemangels in der Schweiz stark an Bedeutung gewinnen. Das Verhältnis von Pensionierten zu Erwerbstätigen steigt massiv zugunsten der älteren Bevölkerung an. Bis 2050 erhöht sich die Zahl der Rentnerinnen und Rentner, also von über 65-Jährigen, von heute rund 1.5 auf gegen 2.7 Millionen, während gleichzeitig die Zahl der Erwerbstätigen nur von rund 5,3 auf 5,8 Millionen steigt.

Diese Entwicklung birgt grosse gesellschaftliche Herausforderungen, vor allem die Kosten der Altersvorsorge steigen massiv. Die regelrechte Pensionierungswelle der Babyboomer-Generation verschärft diese Entwicklung zusätzlich und es droht ein Fachkräftemangel. In der Summe rücken immer weniger junge Menschen auf den Arbeitsmarkt nach und die Zuwanderung von Fachkräften kann diese Lücke nicht füllen.

Die Nutzung des Inländerpotenzials ist daher ein wirksames Mittel, um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken. So müssen Erwerbslose schneller und besser integriert werden und Müttern muss der (Wieder-)Einstieg in den Arbeitsmarkt erleichtert werden. Das grösste Potenzial liegt jedoch bei den älteren Arbeitskräften. Gegenwärtig kennt die Schweiz ein nach den Geschlechtern getrenntes, ordentliches Rentenalter. Dieser meist starre Ausschluss von älteren Arbeitskräften erweist sich vor dem genannten Hintergrund als wenig sinnvoll.

Mit der Pensionierung wird der Ruhestand eingeläutet. So weit, so gut. Heute bedeutet das in vielen Fällen aber: Es wird bis zum letzten Tag mit voller Intensität gearbeitet, und von einem auf den anderen Tag verlassen Arbeitnehmende den Arbeitsmarkt. Dabei besteht in der Schweiz gar keine gesetzliche Pflicht, mit 65 beziehungsweise 64 Jahren aus der Arbeitswelt auszuscheiden. Dieses Alter bedeutet lediglich den Beginn der regulären Altersvorsorge. In den Köpfen aber ist dieses Alter häufig gleichgesetzt mit einem faktischen Ausschluss aus der Arbeitswelt. Viele Arbeitsverträge untermauern dieses Bild, indem sie mit Erreichen des Pensionsalters automatisch enden. Wenn Arbeitnehmende weiterarbeiten wollen, müssen sie selber aktiv werden – was je nach persönlicher Ausgangslage nicht immer einfach und auch nicht immer lukrativ ist.

Vor diesem Hintergrund ist es sehr zu begrüssen, dass mit der Reform AHV 21 eine Flexibilisierung des Rentenbezugs eingeführt wird. Diese Massnahme stellt jedoch nur einen ersten Schritt dar. Damit ältere Menschen länger im Arbeitsleben bleiben, muss sich das nämlich auch lohnen. Gegenwärtig können AHV-Renten bis zu zwei Jahre früher bezogen und bis zu fünf Jahre aufgeschoben werden. Ein früherer Bezug der AHV-Rente führt zu lebenslangen Kürzungen, ein Aufschub der Pensionierung zu einer lebenslangen Erhöhung der Rente. Die AHV-Beitragspflicht bleibt allerdings sowohl beim Vorbezug als auch beim Aufschub der Rente bestehen, sofern der Freibetrag von aktuell 16 800 Franken pro Jahr übertroffen wird. Leider schafft hier auch die aktuelle Reform keine Abhilfe. Wer über den Freibetrag hinaus verdient, muss weiterhin AHV-Beiträge leisten. Pensen werden deshalb oft so gewählt, dass diese Schwelle nicht überschritten wird – ein klarer Fehlanreiz, um in grösserem Umfang über das Pensionsalter hinaus weiterzuarbeiten. Dabei würde sich das auch mit Blick auf die berufliche Vorsorge lohnen: Die Altersleistungen können in der 2. Säule frühestens mit 58 Jahren und spätestens mit 70 Jahren bezogen werden. Bei einer vorzeitigen Pensionierung fällt die Leistung geringer aus, weil mehrere Beitragsjahre fehlen und der Umwandlungssatz tiefer ist. Je länger die Pensionierung aufgeschoben wird, desto höher werden die Leistungen – vor allem, weil sich die beiden vorgenannten Effekte der Beitragsjahre und des Umwandlungssatzes gegenseitig verstärken.

Viele Arbeitnehmende sind gemäss Umfragen bereit, länger zu arbeiten, sofern die Bedingungen stimmen.

Hinzu kommt: Der vergleichsweise starre Ausschluss älterer Arbeitnehmender aus dem Arbeitsmarkt deckt sich nicht zwingend mit den Bedürfnissen der betroffenen Menschen. Die Erwerbstätigenquote bei den Pensionierten im Alter von 65 bis 69 stieg in den letzten 15 Jahren von gut 15 auf über 22 Prozent. Das zeigt, dass noch weitere Kapazität vorhanden ist und eine Flexibilisierung des Rentenalters hier Abhilfe schaffen kann. Zugegeben, je nach Branche oder körperlicher Verfassung ist für ältere Menschen eine Verlängerung der Erwerbstätigkeit keine Option. Wenn jedoch das Bedürfnis und die entsprechende Gesundheit vorhanden sind, muss die Option der Altersarbeit gefördert und nicht behindert werden. Die Vorteile der Altersarbeit sind aus gesamtwirtschaftlicher Sicht eindeutig: Fachkräfte, die aufgrund des demografischen Wandels fehlen, können erhalten werden und für Betroffene erhöht sich die Rentenleistung aufgrund längerer Beitragszahlungen. Wenn ältere Menschen länger im Arbeitsmarkt bleiben, wird folglich auch die finanziell angeschlagene Altersvorsorge entlastet.

Mit der reinen Flexibilisierung des Rentenalters wird man den Bedürfnissen älterer Arbeitskräfte jedoch nicht vollständig gerecht. Vielmehr muss auf die Ausgestaltung der Zeit bis zur Pensionierung geachtet werden. Konkret: Viele Arbeitnehmende sind gemäss Umfragen bereit, länger zu arbeiten, sofern die Bedingungen stimmen. Mit dem Alter können sich beispielsweise die Bedürfnisse und Prioritäten verändern. Mehr Arbeitsautonomie und weniger Zeitdruck können helfen, das Arbeitsklima für ältere Arbeitskräfte attraktiver zu machen. Zudem können sich eine Reduktion des Arbeitspensums und eine flexible Zeiteinteilung positiv auf die Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Freizeit auswirken.

Für Arbeitnehmende kann daher auch ein gradueller Rückzug aus dem Arbeitsleben attraktiv sein. Die Übergangsphase bis zur endgültigen Pensionierung kann individuell nach den Bedürfnissen von Arbeitnehmenden und Arbeitgebenden ausgestaltet werden. Anzudenken wären hier beispielsweise Arbeitsmodelle im Sinne einer Bogenkarriere, wie sie teilweise bei grösseren Konzernen schon heute anzutreffen sind. Hier entwickeln sich die individuellen Karrieren gemäss Plan nicht nur immer nach oben, sondern weisen mit ca. 55 bis 60 Jahren einen beruflichen Höhepunkt auf. Für Arbeitnehmende kann dies beispielsweise bedeuten, dass sie ab dann eine Funktionsstufe zurücktreten und so Verantwortung abgeben – was in der Regel auch mit einem tieferen Lohn verbunden ist. Ein reduziertes Pensum oder mehr Zeit, beispielsweise auch für gezielte Weiterbildungen, würden den längeren Verbleib im Arbeitsmarkt erleichtern.

In der Summe wird klar: Es mangelt weder an guten Ideen noch an technischen Vorschlägen, um eine Flexibilisierung des Rentenbezugs in die Tat umzusetzen. Umso grösser ist aber die Notwendigkeit, gerade mit Blick auf die demografischen Veränderungen und die finanzielle Schieflage der Altersvorsorge. Die Vorlage AHV 21 ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Auch wenn damit noch nicht alle Probleme gelöst sind.

Take Aways:

  • Ältere Arbeitskräfte bieten grosses Potenzial, um dem Fachkräftemangel zu begegnen.
  • Damit ältere Arbeitskräfte länger im Erwerbsleben bleiben, braucht es ein Umdenken: Das reguläre Pensionierungsalter ist kein Fixtermin, an dem von hundert auf null mit der Arbeit aufgehört werden muss.
  • Arbeitsverträge sollten daher nicht automatisch mit dem Erreichen des Pensionsalters enden.
  • In der 1. sowie der 2. Säule besteht die Möglichkeit, die Rente vorzubeziehen oder aufzuschieben. Mit der Reform AHV 21 soll die Flexibilität weiter steigen.

Der Kommentar von Lukas Müller-Brunner ist in der Publikation «Penso» erschienen.