ELG-Reform: Ein moderater Ausbau der Mietzinsmaxima ist sinnvoll

16. März 2018 Meinungen

Die Debatte rund um die Reform der Ergänzungsleistungen hat in der Frühjahrsession 2018 teils heftige Reaktionen ausgelöst. Mitunter war von Leistungskürzungen auf Kosten der Ärmsten unserer Gesellschaft die Rede, weil sich der Nationalrat im Vergleich zum Ständerat für eine moderatere Erhöhung der anrechenbaren Mietzinsmaxima ausgesprochen hatte. Es geht dabei aber nicht um einen Leistungsabbau, sondern im Gegenteil um die Ausgestaltung eines Leistungsausbaus. Auch die Arbeitgeber unterstützen einen moderaten Ausbau.

Der Ständerat argumentiert mit der Entwicklung des Mietpreisindex (MPI), wonach die Mietpreise seit 2001 um 21 Prozent gestiegen sind. Allerdings bildet der MPI insbesondere auch die Neubauentwicklung der letzten Jahre ab, in denen im Zuge der starken Zuwanderung viele neue und teure Wohnungen entstanden sind. Solche Liegenschaften finden in letzter Zeit des Öfteren keine Abnehmer mehr, weshalb die Mieten ins Rutschen kommen. EL-Bezüger befinden sich hingegen meist in langjährigen und damit günstigeren Wohnverhältnissen. Der Ständerat lässt ausser Acht, dass der Referenzzinssatz in der gleichen Zeitperiode von 4 auf 1,5 Prozent gesunken ist, was für bestehende Mietverhältnisse zu spürbaren Mietzinsreduktionen geführt hat. Deshalb besteht in Landregionen mit nach wie vor hohem Angebot an Mietwohnungen, wenn überhaupt, dann nur ein geringer Handlungsbedarf.

 

Die Lösung des Nationalrats – jedoch ohne zusätzliche Kürzungsmöglichkeit der Kantone – ist stimmig und entspricht einem guten Kompromiss.

In der Stadt sieht die Situation freilich etwas anders aus. Deswegen unterstützen die Arbeitgeber den Beschluss des Nationalrats: Eine Familie mit zwei Kindern, die in der Stadt lebt und IV und EL bezieht, könnte sich damit künftig eine Miete von 1725 statt wie bisher 1250 Franken leisten, ohne auf Mittel des allgemeinen Lebensbedarfs zurückgreifen zu müssen. Das entspricht 475 Franken pro Monat mehr als heute. Die Arbeitgeber tragen sogar die Erhöhung des Rollstuhlzuschlags von 3600 Franken auf 6000 Franken mit. Eine vierköpfige Familie mit IV und EL, mit einer Person im Rollstuhl, könnte sich dank des Zuschlags künftig monatlich 2225 Franken an die Miete in der Stadt und 2125 Franken auf dem Land anrechnen lassen statt 1550 Franken wie bisher.

Mit Ausnahme der Städte Zürich, Genf und Lausanne ist für EL-Bezüger, die auf Wohnungssuche sind, das Angebot an bezahlbarem Wohnungsraum auch in mittelgrossen Städten ausreichend. Zudem werden in grösseren Städten teilweise noch lokale Mietzuschläge entrichtet. Es ist deshalb nicht nachvollziehbar, weshalb sich die Mietzuschläge in der ganzen Schweiz an der spezifischen Marktsituation der Stadt Zürich ausrichten sollen. In ländlichen Regionen und kleineren Städten mit verhältnismässig tiefem Mietzinsniveau dürfte die stärkere Erhöhung der anrechenbaren Mietzinsmaxima gemäss Ständerat sogar mietzinstreibend wirken. Sie könnte gerade im Segment der günstigen Altwohnungen nachfragebedingt zu höheren Mieten führen und damit negative Folgen für erwerbstätige Personen und Familien mit tiefen und mittleren Einkommen nach sich ziehen. Das könnte teils gar zu einer finanziellen Besserstellung von EL-Bezügern gegenüber Erwerbstätigen führen.

Gegenwärtig erhält eine vierköpfige Familie mit IV und EL insgesamt knapp 80’000 Franken netto pro Jahr. Sie bekommt Prämienverbilligungen bei der Krankenkasse, muss für grössere Arztkosten nicht selber aufkommen und ist von der Billag-Gebühr befreit. Zudem sind die EL nicht steuerpflichtig. Eine vierköpfige Familie ohne IV und EL müsste daher ein Bruttoerwerbseinkommen von etwa 100’000 Franken erzielen, um ein gleich hohes verfügbares Einkommen zu haben. Würde das Mietzinsmaximum gemäss Ständerat erhöht, würde die 100’000-Franken-Grenze deutlich geknackt – und dies selbst dann, wenn im Rahmen der Reform gleichzeitig die Kinderpauschalen neu aufgeteilt werden. Einer mittelständischen erwerbstätigen Familie wird kaum einleuchten, weshalb sie sich nicht dieselbe Wohnung leisten kann wie eine Familie mit IV und EL.

Das Parlament wäre gut beraten, keine weiteren negativen Anreize für die Erwerbstätigkeit zu setzen. Eine Erhöhung der Mietzinsmaxima sollte nicht dazu verleiten, sich aus finanziellen Überlegungen gegen eine Erwerbstätigkeit zu entscheiden. Die EL dienen der Existenzsicherung. Die Arbeitgeber sind daher für den moderateren Ausbau gemäss Nationalrat und lehnen gleichzeitig auch jegliche Kürzungen der geltenden Ansätze ab. Die Lösung des Nationalrats – jedoch ohne zusätzliche Kürzungsmöglichkeit der Kantone um zehn Prozent – ist stimmig und entspricht einem guten Kompromiss.