Druckverband statt Pflästerlipolitik

26. November 2021 Meinungen

Die Bilanzsumme der Schweizerischen Nationalbank hat mittlerweile die Grenze von 1'000 Milliarden Franken überschritten. So viel Geld weckt natürlich Begehrlichkeiten. Neben Corona-Schulden und zig anderen Vorschlägen soll damit auch die finanzielle Lage der AHV aufgebessert werden. Mit Verlaub: Das ist eine schlechte Idee.

Auch wenn der Nothelferkurs schon eine Weile zurückliegt und das Schema seither überholt wurde: Wer erinnert sich noch an GABI? Gemeint ist (für den/die Patienten/in): Gibt er Antwort? Atmet er? Blutet er? Ist der Puls spürbar? Relevant sind dabei nicht nur die einzelnen Buchstaben, sondern auch die Reihenfolge: So macht eine Herzmassage nur dann Sinn, wenn man eine allfällige Blutung vorher gestillt hat.

Übertragen auf die Politik scheint dieses Prinzip allerdings nicht immer zu gelten. Stattdessen ist es salonfähig geworden, auch bei strukturellen Problemen lieber nach einer neuen Geldquelle zu suchen, als das eigentliche Problem zu lösen. Bestes Beispiel dafür ist die Sanierung der AHV: Auch wenn sich seit Jahrzehnten abzeichnet, dass sich durch die steigende Lebenserwartung und die Pensionierungswelle der Babyboomer-Generation eine immense finanzielle Lücke aufreisst, tut man sich schwer mit einer richtigen Lösung. Die Reformvorlage, die kommende Woche voraussichtlich für die Finalisierung in die eidgenössischen Räte geht, sieht zwar eine Angleichung des Rentenalters für Frauen vor. Allerdings werden die daraus entstehenden Einsparungen rund zur Hälfte gleich wieder durch Ausgleichsmassnahmen und andere Änderungen zunichtegemacht. So hat die Reform eine Halbwertszeit von höchstens ein paar Jahren.

Anstatt jedoch über weitere Einsparungen oder strukturelle Massnahmen nachzudenken, liegt aus Sicht der Politik offenbar die Suche nach einer alternativen Finanzierungsquelle nahe. Einer unheiligen Allianz von links und rechts ist es jedenfalls zu verdanken, dass sich die Räte sowohl innerhalb der AHV-Vorlage als auch im Rahmen einer parlamentarischen Initiative zum Vorschlag der Verwendung von Nationalbank-Geldern für die AHV äussern müssen. Die Idee ist simpel: Die Erträge aus den Negativzinsen der Schweizerischen Nationalbank sollen gesondert erfasst und direkt dem grössten Sozialwerk zugeführt werden. Wenn es doch nur so einfach wäre.

Während die halbe Welt nach Nachhaltigkeit schreit, scheint dieses Prinzip bei der Altersvorsorge nicht ansatzweise zu gelten. Wie sonst ist es zu erklären, dass man ein Sozialwerk, das durch die demographischen Veränderungen strukturell aus den Fugen gerät, mit einer einfachen Finanzspritze aufpäppeln will? Und dass man dabei auf eine Geldquelle setzt, die der politischen Kontrolle – aus geldpolitischen Unabhängigkeitsgründen zu Recht – entzogen ist und damit schon morgen versiegen kann? Egal wie man es dreht und wendet: Die Lösung ist politisch auf den ersten Blick vielleicht weniger schmerzhaft als die Alternativen, sie trägt dem eigentlichen Problem aber nicht ansatzweise Rechnung.

Wäre die AHV die oben genannte Patientin aus dem Nothelferkurs, sähe die Beurteilung eindeutig aus: Die Patientin gibt Antworten und zwar klare: «Wir werden älter und wir werden mehr, die älter werden». Während Atem und Puls im Moment also noch vorhanden sind, blutet die AHV sprichwörtlich aus. Dagegen hilft kein Pflästerli, sondern nur ein ordentlicher Druckverband – in Form von strukturellen Massnahmen. Völlig abwegig ist hingegen die Idee, die Patientin einfach bluten zu lassen und auf die positive Wirkung eines Wundermittels zu hoffen.