Die verpasste Chance der Mitteparteien bei der Rentenreform

12. Mai 2017 Meinungen

Um die Situation älterer Angestellter auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern, hat die BDP den Bundesrat mit einer Motion beauftragt, einen Einheitssatz für die Beiträge an die Pensionskassen einzuführen. Damit will die Mittepartei die Lohn-Nebenkosten von älteren Arbeitnehmern reduzieren und einer Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt vorbeugen. Wie in der Aargauer Zeitung (AZ) vom 9. Mai nachzulesen ist, verhält sich die BDP widersprüchlich, weil sie sich im Zuge der parlamentarischen Beratung der Reform Altersvorsorge 2020 noch gegen die Lösung des Nationalrats ausgesprochen hatte. Nach dem Willen der grossen Kammer sollten über 45-jährige Arbeitnehmer bis zum Rentenalter 65 allesamt 13,5 Prozent ihres Einkommens in die Pensionskasse einzahlen. Statt sich dem Nationalrat anzuschliessen, verhalf die BDP-Fraktion dem Modell des Ständerats zum Durchbruch, das die bestehenden höheren Beitragssätze für ältere Arbeitnehmer aufrechterhält.

Mit dem Vorwurf konfrontiert, auf das falsche Pferd gesetzt zu haben, antwortete BDP-Chef Martin Landolt der AZ, die BDP habe sich nicht für das «ökonomisch beste Modell» entschieden, sondern für jenes, das bessere Chancen vor dem Volk habe. Damit gibt Landolt indirekt zu, dem Schweizer Stimmvolk die schlechtere Lösung – jene des Ständerats – serviert zu haben. Dabei haben es die Berechnungen des Bundesamts für Sozialversicherungen im Vorfeld der Schlussabstimmung im Parlament glasklar aufgezeigt: Das Nationalratsmodell hätte nicht nur weit weniger gekostet, sondern auch besser gewirkt als das Modell des Ständerats.

Laut Landolt ist die vorliegende Reform nur eine vorläufige Lösung: «Es werden weitere Schritte folgen müssen.» Damit befindet er sich auf einer Linie mit Parteikollege und Nationalrat Lorenz Hess, der am 19. März kurz nach der Schlussabstimmung im Parlament in der NZZ am Sonntag zu Protokoll gab, dass es nach dieser Reform beim Rentenalter Anpassungen brauchen wird. Diese Meinung teilt auch die bei diesem Geschäft mit der BDP verbündete CVP. Nationalrätin Ruth Humbel erklärte in derselben Ausgabe der NZZ am Sonntag: «Wir müssen die Altersvorsorge nachhaltig an die demografischen Realitäten anpassen. Darum wird eine Erhöhung des Rentenalters zwingend zum Thema».

Die Äusserungen der Vertreter der beiden Mitteparteien belegen eindrücklich, dass unter dem Diktat einer hauchdünnen Parlamentsmehrheit eine Scheinreform verabschiedet wurde, mit der die strukturellen Probleme der Altersvorsorge auf die lange Bank geschoben werden. Gleichzeitig vergrössert die Mitte-Links-Allianz mit dem AHV-Giesskannenausbau «auf Pump» den Druck auf ein höheres Rentenalter und auf weitere Steuererhöhungen. So bestätigte GLP-Nationalrat Thomas Weibel in der NZZ am Sonntag: «Es braucht weitere Reformen, welche die Strukturfragen wirklich angehen». Seine Partei gab in der Schlussabstimmung im Nationalrat den Ausschlag, weshalb nun eine Vorlage an die Urne kommt, die eines ihrer beiden Hauptziele – die finanzielle Stabilisierung der Säulen der Altersvorsorge – verfehlt. Im Plenum des Nationalrats räumte Weibel am 16. März ein, seine Partei sei zwar nicht zufrieden mit dieser Vorlage, sie möchte aber dem Volk gleichwohl den Entscheid darüber ermöglichen – eine politische Bankrotterklärung.

 

Noch ist es nicht zu spät: Ein Nein an der Urne macht den Weg frei für eine echte Reform, die das gegenwärtige Rentenniveau nachhaltig sichert.

Im Nachhinein realisieren die Vertreter der Mitteparteien und Mitarchitekten der Reform allmählich, dass ihre Vorlage, gemessen an den Zielen, nicht im Entferntesten den Ansprüchen genügt. Noch ist es nicht zu spät: Ein Nein an der Urne macht den Weg frei für eine echte Reform, die das gegenwärtige Rentenniveau nachhaltig sichert. «Reformen müssen in verdaubaren Dosen verabreicht werden, sonst sind wir wieder auf Feld eins», gibt Landolt in der AZ zu Bedenken. Damit gibt er aber ungewollt einer Position Auftrieb, welche die Arbeitgeber seit Beginn des Reformprozesses vertreten haben: Statt eines überladenen Reformpakets, das die unterschiedlichen Systeme der Säulen der Altersvorsorge illegitim vermischt und damit zusätzlich verkompliziert und schwächt, braucht es verdaubare Portionen: die Angleichung des Frauenrentenalters, eine moderate Zusatzfinanzierung für die AHV und die Senkung des Mindestumwandlungssatzes mit sozialverträglicher Kompensation. Mit dem gebotenen politischen Willen lassen sich diese mittlerweile selbst aus Sicht der SP notwendigen Massnahmen innert Kürze umsetzen. Die AHV als unser wichtigstes Sozialwerk hat diese zweite Chance verdient.