Im Jahr 2017 hat das Bundesgericht die Einführung eines branchenübergreifenden Mindestlohns im Kanton Neuenburg geschützt. Seither haben mit Jura, Genf und Tessin weitere Kantone einen obligatorischen Mindestlohn eingeführt. Am 13. Juni wird mit Basel-Stadt erstmals ein Kanton der Deutschschweiz über einen gesetzlich verankerten Mindestlohn befinden. Wird die Initiative «Kein Lohn unter 23 Franken» an der Urne angenommen, wird die flexible und auf die Wertschöpfung in den Unternehmen abgestützte Lohnfindung durch ein staatliches Lohndiktat ersetzt. Die Einführung eines im internationalen Vergleich extrem hohen Mindestlohns von knapp 4000 Franken kann zwar als gutgemeinter Akt der Solidarität gedeutet werden. Bei genauerem Hinsehen sind Mindestlöhne aber wohlstandsvernichtend, dirigistisch und unsozial.
Ob in Basel-Stadt oder anderswo: Ein kantonaler Mindestlohn schwächt unweigerlich den regionalen Arbeitsmarkt, denn es werden Stellen für niedrig Qualifizierte und Gelegenheitsjobs verloren gehen. Aus dem Arbeitsmarkt gedrängt werden etwa Menschen mit fehlender Ausbildung, mit eingeschränkter Leistung, mit Sprachschwierigkeiten, aber auch Studenten oder Wiedereinsteiger. Geringverdiener in Nischenarbeitsplätzen sind also die ersten Verlierer der Einführung eines verordneten Mindestlohns. Ein Lohndiktat bringt aber auch das ganze Lohngefüge in einem Betrieb durcheinander. Ein höherer Einstiegssockel sollte alle darüber liegenden Löhne eines Unternehmens nach oben drücken, worunter die Wettbewerbsfähigkeit leidet. Dies würde in Branchen wie dem Gastgewerbe, das von der Corona-Krise stark betroffen ist, zahlreiche bereits abbaugefährdete Arbeitsplätze akut bedrohen. Über die generellen Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt ist sich die Wissenschaft seit langem einig: Alle Anwärter eines Mindestlohns werden über monetäre oder nicht-monetäre Überwälzungen letztlich schlechter gestellt als bei einem Verzicht auf diese Barriere.
Geringverdiener in Nischenarbeitsplätzen sind die ersten Verlierer der Einführung eines verordneten Mindestlohns
Unter Druck gerät auch die Berufsbildung. Wenn Ungelernte dank eines Mindestlohns in einem Beruf so viel verdienen können wie Gelernte, leidet darunter die Bereitschaft zur Aus- und Weiterbildung. Besonders fatal ist dies für junge Menschen, die vor der Berufswahl stehen und sich, geblendet von einem Mindestlohn, eher gegen eine Lehre entscheiden. Lebenslanges Lernen ist für den Werk- und Wissensplatz Schweiz essenziell, um Perspektiven und ein erfülltes Berufsleben für alle zu erhalten.
Die Einführung von kantonalen Mindestlöhnen ist darüber hinaus ein Alarmsignal für die bewährte Sozialpartnerschaft. Im Schweizer Erfolgsmodell werden Löhne und weitere Regelungen aus gutem Grund auf betrieblicher oder sozialpartnerschaftlicher Ebene festgelegt. Ohne gesetzlichen Einheitslohn können nämlich regionale Strukturen oder unterschiedliche Wertschöpfungsketten innerhalb einer Branche auf eine Weise abgebildet werden, dass die Spielräume für gesunde Unternehmen gewahrt bleiben. So können etwa die üblichen Lohn- und Arbeitsbedingungen sozialpartnerschaftlich kontrolliert werden. Mit der Einführung eines flächendeckenden Mindestlohns verschiebt sich hingegen der Verhandlungsspielraum von den Sozialpartnern, die mit den besonderen Gegebenheiten vertraut sind, zu einer oftmals regulierungsfreudigen Politik. Ein Staatsinterventionismus schiesst indessen weit über das Ziel hinaus und schwächt den flexiblen, anpassungsfähigen Arbeitsmarkt, einen der wichtigsten Standortvorteile der Schweizer Wirtschaft.
Fragwürdig ist schliesslich die Sozialbilanz eines Lohndiktats. Mindestlöhne wirken wenig zielgerichtet, weil sie die wirtschaftliche Situation der Empfänger nicht berücksichtigen. So weisen Studien nach, dass ein nicht unerheblicher Teil der Bezüger von Mindestlöhnen, darunter Studenten oder Teilzeitangestellte, in wohlhabenden Haushalten leben. Deshalb tut die Schweiz zur Armutsbekämpfung weiterhin gut daran, die Schwachen zielgerichtet mit bedarfsgerechter Sozialhilfe oder Ergänzungsleistungen zu unterstützen. Für die dazu notwendigen Mittel braucht es die Einsicht, dass Wohlstand kein ewigwährendes Naturgesetz ist, sondern mit günstigen Rahmenbedingungen immer wieder neu zu erarbeiten ist.