Ein Artikel in der NZZ kam mit Blick auf die Neun-Millionen-Schweiz jüngst zum Schluss, dass die Schweiz punkto Produktivität trotz Zuwanderung im Ländervergleich zurückfällt. Wird das Wirtschaftswachstum – wie in diesem Fall getan – in Relation zum Bevölkerungswachstum gesetzt, so kommt man in der Tat zu diesem trügerischen Schluss! Trügerisch, weil dies höchstens die halbe Wahrheit ist.
Eine ausschliesslich auf dem Bruttoinlandprodukt (BIP) pro Kopf basierende Analyse zeigt nämlich ein verzerrtes Bild über den Nutzen der Zuwanderung, weil dabei gleich mehrere wichtige Kennzahlen keinen Eingang in die Berechnung finden. Eine solche Analyse ist wissenschaftlich schlicht nicht korrekt und letztlich auch Wasser auf die Mühlen derjenigen Kreise, denen jedes Mittel recht ist, um gegen ausländische Arbeitskräfte Stimmung zu machen.
Auf internationaler Ebene wird in den meisten Fällen das BIP pro Kopf als Indikator für den Wohlstand herangezogen, so auch in der Schweiz. Ein Blick auf die letzten Jahre zeigt, dass dieses im internationalen Vergleich in der Vergangenheit eher moderat angestiegen ist. Daraus jedoch den Schluss zu ziehen, die Zuwanderung würde sich nicht lohnen oder sei gar kontraproduktiv, greift eindeutig zu kurz. So werden wichtige Kennzahlen, wie das Arbeitsvolumen je erwerbstätiger Person, schlicht ausgeblendet. Tatsache ist nämlich, dass diese Kennzahl in den letzten 30 Jahren um mehr als 10 Prozent deutlich zurückging. Ein genauerer Blick auf die Zahlen zeigt zudem, dass es die ausländischen Erwerbstätigen sind, die im Durchschnitt immerhin fast zwei volle Arbeitswochen pro Jahr mehr arbeiten als Schweizerinnen und Schweizer. Zudem hat das gesamtwirtschaftliche Arbeitsvolumen in den letzten 30 Jahre nicht einmal halb so stark zugenommen wie das Wachstum der Erwerbstätigenzahl.
Diese Fakten werden bei einer ausschliesslichen Betrachtung des BIP pro Kopf ignoriert, weil dieses von einer konstanten tatsächlich gearbeiteten Stundenzahl pro Kopf ausgeht. Wird das BIP jedoch ins Verhältnis zum tatsächlich gearbeiteten Arbeitsvolumen gesetzt, zeigt sich ein substanzieller Anstieg über die letzten Jahre. Berechnungen von Boris Zürcher, Leiter der Direktion für Arbeit im Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco), zeigen gar, dass das reale Arbeitseinkommen (bereinigt um den Konsumdeflator) pro Arbeitsstunde im Zeitraum zwischen 1991 und 2021 um 41,6 Prozent gestiegen ist. Und damit nicht genug, denn die zusätzliche Freizeit der Schweizerinnen und Schweizer müsste rein theoretisch ebenfalls als Wohlfahrtsgewinn ins Kalkül einfliessen – auch wenn diese oft zum Vorteil der Wirtschaft für Aus- und Weiterbildungen genutzt wird. Somit hätten die Schweizerinnen und Schweizer ohne die in den letzten Jahren erfolgte Zuwanderung mehr arbeiten müssen oder der Wohlstand pro Kopf hätte merklich abgenommen.
Keine Frage, auch bei der Zuwanderung ist nicht alles Gold was glänzt. Eine redliche Debatte um deren Vor- und Nachteile erfordert jedoch den Einbezug aller relevanten Fakten und Entwicklungen. Wirtschaftlich gesehen würde die Schweiz ohne den geleisteten Arbeitseinsatz der Zuwanderer in der Vergangenheit nicht dort stehen, wo sie heute steht. Auch zukünftig werden wir trotz allen Bemühungen zur Ausschöpfung des inländischen Arbeitskräftepotenzials auf eine arbeitsmarktbezogene Zuwanderung angewiesen sein, falls der Wohlstand im Land erhalten werden soll. Dies umso mehr, als das Wachstum des Arbeitsvolumens nicht mit dem Stellenwachstum in der Wirtschaft Schritt hält und die demografische Entwicklung zunehmend voranschreitet. Die Zahlen zur zukünftigen Entwicklung der Bevölkerungszahlen lassen erahnen, dass wir in ein paar Jahren erstaunt auf die heute geführte Zuwanderungsdebatte zurückblicken werden.