Trotz verschärftem Fachkräftemangel: EU/Efta-Zuwanderung sinkt

24. Februar 2022 News

Während sich der Fachkräftemangel mit der starken Erholung der Schweizer Wirtschaft ab dem Sommerhalbjahr 2021 nochmals verschärft hat und Firmen händeringend nach Personal suchen, ging die Zuwanderung aus EU/Efta-Ländern 2021 im Vergleich zum Vorjahr um mehr als 10 Prozent zurück. Dieser Rückgang der Nettozuwanderung dürfte ein erster Vorgeschmack auf die Entwicklung in den nächsten Jahren sein. Die Schweiz muss ihr inländisches Arbeitskräftepotenzial dringend stärker ausschöpfen.

Die vom Staatssekretariat für Migration (SEM) publizierten Zahlen zur Nettozuwanderung aus EU/Efta-Staaten zeigen, was sich bereits in den vergangenen Jahren abzeichnete: Der Wettbewerb um Arbeits- und insbesondere Fachkräfte hat sich in der industrialisierten Welt stark intensiviert. Seit 2013, als netto über 70’000 Zuwanderer in die Schweiz kamen, hat sich die Zuwanderung aus EU/Efta-Ländern inzwischen mehr als halbiert. Der Rückgang der Nettozuwanderung von 2020 auf 2021 überrascht nicht zuletzt aufgrund der Tatsache, dass sie 2020 infolge des Corona-bedingten wirtschaftlichen Einbruchs und der höheren Arbeitslosigkeit bereits tief lag und 2021, trotz wirtschaftlichem Aufschwung, nicht nachzog. Mit den fast gleichzeitig erstarkten wirtschaftlichen Aktivitäten in den Ländern der Europäischen Union wird die Rekrutierung von Personal auch bei ihnen zunehmend schwieriger. Zudem sind diese Länder, gleich wie die Schweiz, durch die voranschreitende demografische Entwicklung herausgefordert, wodurch das Arbeitskräfteangebot weiter abnimmt.

Die Nettozuwanderung aus EU/Efta-Ländern erreichte 2008 mit 73’247 Personen einen Höchststand. Dabei wanderten 45 Prozent aus Deutschland, knapp 18 Prozent aus Portugal und 12 Prozent aus Frankreich ein, wodurch diese drei Länder Dreiviertel der EU/Efta-Zuwanderung abdeckten. Seither hat sich die länderspezifische Zusammensetzung der Nettozuwanderung stark verändert: 2021 kamen noch 50 Prozent aus den drei Ländern Deutschland (19 Prozent), Italien (16 Prozent) und Frankreich (15 Prozent) in die Schweiz. Der vierthöchste Anteil fiel mit gerade noch 7 Prozent auf Personen aus Rumänien. Einen interessanten Verlauf nahm die Zahl der Nettozuwanderung von Personen aus Portugal. Lag diese im Jahr 2013 noch bei knapp 15’000, nahm sie bis 2019 kontinuierlich bis auf minus 2750 Personen im Jahr 2019 ab. Auch 2021 wanderten mehr Personen aus Portugal aus als ein.

Die Zuwanderung aus EU/Efta-Ländern konnte in den letzten Jahren subsidiär zu den inländischen Arbeitskräften einen wichtigen Teil der Arbeitskräftenachfrage decken. Dies dürfte zukünftig zunehmend schwieriger werden, da Länder wie Deutschland, Italien oder Frankreich, die sich zurzeit wirtschaftlich ebenfalls sehr gut entwickeln, vor ähnlich gelagerten Herausforderungen wie die Schweiz stehen. Einen ersten Vorgeschmack auf rückläufige Zuwanderungszahlen aus EU/Efta-Staaten geben nun die Zahlen für 2021, die deutlich tiefer ausfallen als 2020.

Die Schweiz muss aus dieser Entwicklung rasch Lehren ziehen und die Hausaufgaben im Inland schnell und nachhaltig angehen. Bei der Ausschöpfung des inländischen Arbeitskräftepotenzials steht neben der Wirtschaft vor allem auch die Politik in der Verantwortung. Darüber sollte ein klarer Konsens herrschen – gerade jene politischen Kräfte, denen die Zuwanderungszahlen der letzten Jahre stets ein Dorn im Auge waren, müssen nun beweisen, dass ihnen an Lösungen zur Deckung der Arbeitskräftenachfrage gelegen ist. Der Preis der Untätigkeit wäre schlicht zu hoch.