Der diesjährige Arbeitgebertag bot die Gelegenheit, nach einer Lageanalyse das dringliche Thema des Fachkräftemangels aus Sicht der Arbeitgeber der Schweiz und ihrem Nachbarn Österreich sowie mit Vertretern der Branchen zu vertiefen. «Die Corona-Krise hat den Arbeitgebern viele Verbesserungsbereiche aufgezeigt – diese Chance darf man nicht ungenutzt lassen», betonte SAV-Präsident Valentin Vogt in seiner Standortbestimmung. Doch mit dem Ukraine-Krieg bremst eine neue, aus geopolitischer Sicht weit dramatischere Krise den wirtschaftlichen Aufschwung in der Schweiz erneut. Und während der Bundesrat hier mit der EU zusammenspannt, stecken die Verhandlungen über die Weiterentwicklung des bilateralen Modells in einer Sackgasse. Dabei sind gerade jetzt gefestigte, rechtlich abgesicherte Beziehungen mit Europa unabdingbar. Vogt betonte, dass die Wirtschaft vom Bundesrat Führungsstärke und zügiges Handeln erwarte.
Im Fokus der Veranstaltung war anschliessend der Fachkräftemangel, der sich durch die Corona-Pandemie noch zugespitzt hat. Wie wirkt er sich in den betroffenen Branchen aus? Welche Lösungsansätze und Forderungen an die Politik haben die Arbeitgeber? Auf diese Punkte ging Arbeitgeber-Direktor
Roland A. Müller in seinem Referat ein. Infolge der demografischen Alterung ist bis 2050 mit einer Fachkräftelücke von gegen 1,3 Millionen Personen zu rechnen. Angesichts dieses Engpasses wollen die Arbeitgeber klar das inländische Arbeitskräftepotenzial fördern. Gerade bei den Frauen setzen sie auf eine Verbesserung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie sowie den Abbau von Fehlanreizen bei den Steuern. «Für ältere Arbeitnehmende ist es zentral, dass die Arbeitsmarktfähigkeit erhalten und gefördert wird», betonte Müller. Zu diesem Zweck lancierte der Schweizerische Arbeitgeberverband (SAV) das Arbeitgebernetzwerk focus50plus. Nichtsdestotrotz wird die Schweiz auch zukünftig auf Zuwanderung aus EU/Efta- und aus Drittstaaten angewiesen sein – gute Rahmenbedingungen sowie die Sicherung der Personenfreizügigkeit sind dafür massgebend.
Ähnlich tönt es in Bezug auf den sich verschärfenden Fachkräftemangel im Nachbarland Österreich. Wie Gastreferent Georg Knill, Präsident der Industriellenvereinigung (IV), eindrücklich aufzeigte, rechnet Österreich bis im Jahr 2050 mit einer Abnahme der Erwerbsbevölkerung von aktuell rund 52 auf 47 Prozent. Um das Problem langfristig in den Griff zu bekommen, arbeitet die Regierung eine umfassende Fachkräftestrategie aus, die verschiedene Bereiche wie die Lehrausbildung, die Einbindung von Frauen und Älteren sowie die qualifizierte Zuwanderung umfasst.
Wie der Fachkräftemangel von den Branchen erlebt und angegangen wird, diskutierten Vertreter der jeweiligen Wirtschaftszweige im Podiumsgespräch. Woran liegt der akute Fachkräftemangel im Gesundheitssektor und wie kann man die Jungen für die Branche begeistern? Das nebst dem Lohn vor allem Betriebskultur und Arbeitsklima eine wichtige Rolle spielen, unterstrich Rolf Zehnder, ehemaliger Direktor des Kantonsspitals Winterthur und Vizepräsident des Spitalverbands H Plus. «Für die Pharmabranche ist es ein Privileg, die fehlenden Fachkräfte über die Drittstaaten-Kontingente gewinnen zu können» – dessen ist sich Thomas Bösch, Personalleiter von Novartis Schweiz, bewusst. «Der Fachkräftemangel ist ein echter Wachstumshemmer», warnte Judith Bellaiche, Geschäftsführerin von Swico, dem Wirtschaftsverband der Schweizer ICT- und Online-Branche. Man müsse schon in der Schule ansetzen.
Weitere Auskünfte
- Roland A. Müller, Direktor Schweizerischer Arbeitgeberverband (SAV), Tel. 079 220 52 29, roland.mueller@arbeitgeber.ch
- Andy Müller, Ressortleiter Kommunikation, Schweizerischer Arbeitgeberverband (SAV), Tel. 079 617 01 27, andy.mueller@arbeitgeber.ch
Frisch ab Druck: Der Jahresbericht 2021
Trotz der seit Februar 2022 durch den Ukraine-Krieg wieder eingetrübten wirtschaftlichen Aussichten sind für die Arbeitgeber die grossen Themen und Projekte von unveränderter Relevanz. Im grossen Interview bestätigen dies auch die Vorstandsausschuss-Mitglieder Brigitte Lüchinger (AGV) und Martino Piccioli (AITI). Der Schwerpunktbeitrag analysiert, wie das Homeoffice als Teil des Digitalisierungsprozesses durch die Pandemie zusätzlichen und nachhaltigen Schub erhalten hat.
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