Unverantwortliches Störmanöver bei der AHV

16. Oktober 2012 Meinungen

Die Gewerkschaften fordern einen Leistungsausbau bei der AHV: Damit betreiben sie eine verhängnisvolle Illusionspolitik auf dem Buckel künftiger Generationen.

Der Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB) will eine Volksinitiative zur Stärkung der AHV lancieren. Ziel sei die Verbesserung der AHV-Renten um 10 Prozent, das heisst für Alleinstehende rund 200 Franken pro Monat. Im Frühjahr 2013 soll mit der Unterschriftensammlung begonnen werden. Von einer höheren Rente profitieren sollen insbesondere Menschen mit tiefen und mittleren Einkommen. Die daraus resultierenden Mehrkosten belaufen sich auf mehrere Milliarden Franken.

Verzögerung des Reformprozesses
Die Forderungen nach dem AHV-Ausbau kommen just und wohl nicht zufällig zu einem Zeitpunkt, an dem über den Reformbedarf in der beruflichen Vorsorge diskutiert wird. Der «Bericht über die Zukunft der 2. Säule» wurde vom Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) ausgewertet, und die Öffentlichkeit wartet nun ungeduldig auf die bereits mehrfach vom Bundesrat angekündigten Eckwerte für eine Revision der Altersvorsorge.

Hier die Gunst der Stunde auszunutzen und isoliert die Verstärkung der ersten Säule zu proklamieren, ist ein provokatives Störmanöver und trägt nicht zu einer gesamtheitlichen Lösungsfindung bei. Entsprechende Volksinitiativen verzögern im Gegenteil den ohnehin nur schleppend anlaufenden «Reformprozess Altersvorsorge» weiter und tragen alles andere als zur Versachlichung bei. Statt Illusionen zu wecken, wäre besser ein Beitrag zur Vertrauensbildung nötig!

Demografische Entwicklung erfordert jetzt Massnahmen
Aus den Finanzperspektiven 2012 des BSV geht hervor, dass das Umlageergebnis der AHV (Einnahmen ohne Kapitalerträge minus Ausgaben) gemäss geltendem AHV-Gesetz gegen 2020 deutlich negativ sein wird. Die im Ausgleichsfonds der AHV erwirtschafteten Kapitalerträge werden dann nicht mehr genügen, um diese Defizite aufzufangen. Ohne Gegenmassnahmen wird deshalb auch das Betriebsergebnis der AHV rasch in tiefrote Zahlen abgleiten und die Liquidität des AHV-Fonds in der zweiten Hälfte des nächsten Jahrzehnts das operative Minimum unterschreiten.

Mit anderen Worten: Nachdem die negativen Effekte der alternden Gesellschaft lange Zeit durch die Steigerung der Erwerbsbeteiligung und die starke Zuwanderung noch einigermassen kompensiert wurden, kommen sie nun voll zum Tragen. Jetzt sind Massnahmen zur Bewältigung der demografischen Herausforderung unausweichlich. Wenn die Gewerkschaften diese Realität weiterhin verdrängen und entsprechende Reformen in der Altersvorsorge verzögern, dann verspielen sie die Chancen für sozialverträgliche Übergangsfristen. Wenn sie darüber hinaus noch isoliert einen Leistungsausbau fordern, dann betreiben sie auf dem Buckel der künftigen Generationen eine verhängnisvolle Illusionspolitik.

Das BSV hat in seinem Bericht zur wirtschaftlichen Situation von Erwerbstätigen und Personen im Ruhestand (Nr. 1/08) festgestellt, dass sich Personen im Ruhestand insgesamt in einer besseren finanziellen Lage befinden als die aktive Bevölkerung, obwohl ihr Einkommen weiterhin deutlich unter dem der Erwerbstätigen liegt. Zwar existiere vereinzelt noch Altersarmut, doch sei die Situation bei älteren Menschen insgesamt positiv.

Die erfreuliche Realität rechtfertigt also keine Rentenerhöhungen mit der Giesskanne. Vielmehr reichen die bewährten Instrumente, wie zum Beispiel die Ergänzungsleistungen (EL) aus, um im konkreten Fall verbleibende Lücken zum effektiven Bedarf zu schliessen.