Fachkräftemangel macht die berufliche Eingliederung nicht zum Selbstläufer

2. Oktober 2018 Meinungen

Die alternde Gesellschaft ist seit Jahren ein breit diskutiertes Thema. Nun wird dieser weltweite Megatrend der demografischen Alterung in der Schweiz bald konkret spürbar: Zwischen 2020 und 2035 rollt die Pensionierungswelle der Babyboomer. Kurz nach 2030 erreicht sie ihre Spitze. Aus dem Babyboom wird ein Rentnerboom.

Die UNO hat drei Triebkräfte des Megatrends identifiziert: Lebenserwartung, Geburtenrate und Migration. Während die beiden Ersten relativ gut prognostizierbar sind, kann die Migration selbst kurzfristig grössere Verschiebungen verursachen, etwa aufgrund neu entstehender Konfliktherde. Die UNO rechnet mit einem Wachstum der Weltbevölkerung von derzeit 7 auf 10 Milliarden bis 2050. Aufgrund der weiter steigenden Lebenserwartung und der rückläufigen Geburtenrate wird der Anteil der über 60-jährigen von 10 auf 22 Prozent wachsen. Allerdings sind die Verschiebungen je nach Region erheblich. So werden insbesondere die USA, Japan und auch Westeuropa inklusive der Schweiz von der Alterung der Gesellschaft relativ stärker betroffen sein als andere Regionen.

Die Auswirkungen des Megatrends werden vielfältig ausfallen. Einer steigenden Nachfrage nach Arbeitskräften wird – ohne Gegenmassnahmen – ein geringeres Angebot gegenüberstehen. Gemäss Studien dürfte sich auf dem schweizerischen Arbeitsmarkt innert zehn Jahren eine Lücke im Umfang von bis zu einer halben Million Vollzeitstellen öffnen. Zudem steigt der Druck auf die sozialen Systeme stark: Während die Beitragsseite zu erodieren droht, steigen die Leistungen insbesondere in der Altersvorsorge bald exponentiell an. Diese beiden Entwicklungen können das Wirtschaftswachstum stark bremsen. Ökonomen sprechen denn auch von einer drohenden «Demografiesteuer» nach einer langen Phase mit einem «Demografiebonus».

 

Es wäre fatal, sich darauf zu verlassen, den Bedarf an qualifizierten Arbeitskräften ausschliesslich über die Zuwanderung zu decken.

Aus Arbeitgebersicht sind die demografische Alterung und die Entwicklung des Arbeitsmarkts zwei Seiten derselben Medaille. Die Frage, wie der künftige Arbeitskräftebedarf in der Schweiz gedeckt werden kann, rückt deshalb immer mehr in den Vordergrund. Da der Megatrend weltweit verläuft und besonders Europa stark betrifft, wäre es fatal, sich darauf zu verlassen, den Bedarf an qualifizierten Arbeitskräften ausschliesslich über die Zuwanderung zu decken. Der Fokus ist stattdessen auf eine noch bessere Nutzung der inländischen Arbeitsressourcen zu legen.

Auch die sozialpolitischen Folgen der demografischen Alterung werden vielfältig sein. Steigt in den Unternehmen das Durchschnittsalter der Belegschaft an, nehmen auch die Invaliditätsrisiken tendenziell zu. Die Handlungsansätze für Politik und Unternehmen liegen auf der Hand: Anreize zur Frühpensionierung müssen reduziert und Anreize zum längeren Verbleib im Erwerbsleben verstärkt werden. Selbst in der Schweiz wird sich das ordentliche Pensionierungsalter früher oder später schrittweise nach oben bewegen. Der tendenziellen Zunahme der Invaliditätsrisiken steht allerdings auch ein wachsendes Interesse der Arbeitgeber an der beruflichen Eingliederung gegenüber. Bewusst engagiert sich der Schweizerische Arbeitgeberverband deshalb als Patronatsgeber von Compasso.

Zum Selbstläufer wird die berufliche Eingliederung allerdings trotz der geschilderten Zusammenhänge nicht. Die Erhaltung der Arbeitsmarktfähigkeit von Menschen mit Beeinträchtigung und die (Wieder-)Eingliederung sind auch für Arbeitgeber anspruchsvoll. Sie erfordern eine gezielte Koordination der verschiedenen Stakeholder und müssen laufend vereinfacht und weiterentwickelt werden. Die IV-Stellenkonferenz als strategisches Organ und die IV-Stellen als Durchführungsorgane nehmen als Systempartner eine Schlüsselrolle ein. Die IV wird zwar herausgefordert durch Arbeitskräfte in den Unternehmen, die im Schnitt älter werden und deshalb tendenziell auch ein höheres Invaliditätsrisiko aufweisen, was sich negativ auf die Finanzierung der Sozialversicherung auswirken dürfte. Dieser Entwicklung steht jedoch die Chance gegenüber, die Erfolge der beruflichen Eingliederung weiter auszubauen, gerade auch zum Nutzen der IV. Die Organe der IV haben es selber in der Hand, durch eine zielgerichtete Koordination der verschiedenen Stakeholder wesentlich zum Erfolg der beruflichen Eingliederung beizutragen – in enger Zusammenarbeit mit den Arbeitgebern.