Als Sommerserie publiziert der Schweizerische Arbeitgeberverband einzelne Beiträge des kürzlich publizierten Jahresberichts in leicht gekürzter oder aktualisierter Form.
Um erfolgreich zu bleiben, benötigt das Schweizer Berufsbildungssystem Branchenverbände, die ihre Nähe zu den Betrieben gezielt festigen und ausbauen und Bildung als wichtige Aufgabe in ihren Verbandsstrukturen wahrnehmen. Im Prozess der Berufsentwicklung müssen die Rolle der Organisationen der Arbeitswelt weiter gestärkt und branchenübergreifende Gesetze und Vorschriften vermieden werden.
Berufsbildung dank Arbeitsmarktbezug
Das duale Berufsbildungssystem der Schweiz stellt in vielerlei Hinsicht ein Erfolgsmodell dar. Die Qualifikationen der Jugendlichen und die Anforderungen des Arbeitsmarktes sind gut aufeinander abgestimmt, weil die Ausbildung in enger Zusammenarbeit mit den Branchen und Betrieben und an verschiedenen Lernorten erfolgt. Gemäss der Eidgenössischen Hochschule für Berufsbildung (EHB) führt das zu einem positiven Kosten-Nutzenverhältnis, was wiederum die Ausbildungsbereitschaft der Betriebe sicherstellt. Der Übergang von der Ausbildung in den Beruf gelingt in der Regel gut, weil die Branchenverbände dafür sorgen, dass die Betriebe bei der Entwicklung der Berufe einbezogen werden. Ihr Engagement und ihre Nähe zu den Betrieben sind zentral für den Erfolg des dualen Bildungssystems der Schweiz. Politische Eingriffe, finanzielle Zuschüsse oder Gesetze und Regularien hingegen schwächen die Branchenverbände in ihrer Rolle und sind daher möglichst gering zu halten.
Die Pandemie hat gezeigt, dass sich die enge Zusammenarbeit in der Verbundpartnerschaft und die Beibehaltung der bestehenden Prozesse bewähren. Zur Überraschung vieler kam es während der Wirtschaftskrise zu keiner Lehrstellenkrise, obwohl praktisch keine staatlichen Eingriffe wie schulisch orientierte Massnahmen erfolgten. Dies ist auch damit zu erklären, dass die Berufsbildung mittlerweile sehr stark in den Betrieben und Branchen verankert ist. Die Betriebe bekannten sich trotz der Krise zur Ausbildung von Lernenden, was viel Mut erfordert.
Die Branchenlogik der beruflichen Grundbildung findet im Tertiärbereich ihre Fortsetzung und ist ganz klar ein Erfolgsfaktor. Sie wird aber leider nicht selten unterschätzt oder zu wenig anerkannt. Obwohl mehrere Studien beweisen, dass die Absolvierenden der höheren Berufsbildung sehr gefragt sind, entscheiden sich immer weniger Jugendliche für diesen Bildungsweg. Auf dem Arbeitsmarkt fehlen dann genau diese Fachkräfte mit ihren spezifischen Kompetenzen, was nicht nur einen Verlust für die ganze Gesellschaft bedeutet, sondern auch einen Anstieg der (Jugend-)Arbeitslosenzahlen zur Folge haben kann. Dass die höhere Berufsbildung gestärkt werden muss, wird von den Schweizer Akteuren der Bildung grundsätzlich erkannt. Die Herausforderung besteht darin, die gesellschaftliche Anerkennung der Berufsbildung zu erhöhen und ihr allgemein mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Entsprechende Instrumente wurden im vergangenen Jahr verbundpartnerschaftlich diskutiert. Ein Massnahmenpaket zur Stärkung der höheren Berufsbildung wird am nächsten Spitzentreffen Ende 2023 vorgelegt.
Schweizer Erfolgsrezept weiterführen
Das Schweizer Berufsbildungssystem auch im Ausland bekannter zu machen und so die Anerkennung zu steigern, ist keine leichte Aufgabe. Die eidgenössischen Prüfungen sowie die höheren Fachschulen mit ihrem stark verankerten Praxisbezug und der zunehmenden Kompetenzorientierung sind anders ausgerichtet als internationale Systeme, die vor allem auf der Basis klassischer Lernstunden operieren.
Viele Länder erkennen einerseits den Erfolg des dualen Bildungssystems der Schweiz und wollen mehr darüber wissen. Andererseits ist ihnen dieses System so fremd, dass sie nicht verstehen, warum die Wirtschaft in die Berufsbildung investieren und sie so mitfinanzieren soll. In ihrer Logik ist dafür der Staat zuständig. Auf politischer Ebene werden daher selbst im nahen Ausland tendenziell immer mehr Entscheide zugunsten der schulischen Bildung gefällt. Diese Länder erzielen vielleicht bessere Ergebnisse bei den Pisa-Studien, haben aber eine bedeutend höhere Jugendarbeitslosigkeit als die Schweiz, weil die Qualifikationen der Jugendlichen nicht mit der Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt abgestimmt sind und der Übertritt in die Berufswelt nicht passgenau ist.
Trends wie Digitalisierung oder Nachhaltigkeit verleiten die Schweizer Politik, bestimmte schweizweite Vorgaben zu initiieren oder Reglemente einzuführen. Diese Trends sind aber meist längst im Arbeitsmarkt angekommen und werden in den Berufsrevisionen automatisch aufgenommen. Der Trend des lebenslangen Lernens hat beispielsweise zu Rufen nach mehr Allgemeinbildung geführt. Diese greifen allerdings zu kurz, denn mehr schulische Bildung führt zu einer Verschiebung der Ausbildung in Richtung «Lernort» Schule, was gerade für Jugendliche, die praktisch veranlagt und schulisch eher schwach sind, eine fatale Entwicklung wäre. Solche gut gemeinten Interventionen können die duale Bildung aus dem Gleichgewicht bringen und verkennen, dass Jugendliche gerade dank der Berufsbildung das Konzept des stetigen Lernens am Arbeitsplatz erwerben.
Über die Branchenverbände werden wichtige Themen wie etwa der Berufsabschluss für Erwachsene, die Anrechnung von Bildungsleistungen sowie die Einführung möglicher Attest-Lehren, Integrationsvorlehren und individueller Kompetenznachweise eingebracht. Es ist wichtig, dass diese Themen nicht branchenübergreifend reguliert, sondern in den Branchen selbst diskutiert und umgesetzt werden, nicht zuletzt, um auch der Vielfältigkeit der Berufe gerecht zu werden. Auf Ebene der Verbundpartner ist es wichtig, gemeinsame Erwartungen und Haltungen transparent zu machen und mittels Empfehlungen den Berufsentwicklungsprozess für alle Akteure zu vereinfachen.
Branchenverbände und Betriebe müssen aktiv und motiviert bleiben und sind gefragt, die Bedürfnisse des Arbeitsmarktes zeitnah aufzunehmen, die Vorteile der beruflichen Grundbildung und der höheren Berufsbildung klar aufzuzeigen und so potenzielle Absolvierende wie auch Rekrutierungsbeauftragte von der Qualität der beruflichen Aus- und Weiterbildung zu überzeugen. Der Schweizerische Arbeitgeberverband setzt sich auf strategischer und politischer Ebene dafür ein.