Individualbesteuerung als längst fälliger Schritt zu zeitgemässem Steuersystem

8. September 2022 Meinungen
Von Simon Wey

Der Weg war lang, jedoch hat sich der Effort gelohnt. Endlich kann die Schweizer Stimmbevölkerung an der Urne über die Einführung einer Individualbesteuerung befinden. Die Zeit ist mehr als reif, auch weil sich die Schweiz nicht mehr länger den Luxus leisten kann, Frauen als wichtiges Arbeitskräftepotenzial aufgrund eines antiquierten Steuersystems vom Arbeitsmarkt abzuhalten. Dabei ist es auch nicht mehr zeitgemäss, zweitverdienende Ehepartner gegenüber den Hauptverdienern durch einen höheren Grenzsteuersatz zu benachteiligen. In 90 Prozent der Haushalte generieren die Frauen im Haushalt das tiefere Einkommen. Nach wie vor sind in der Schweiz zudem 93 Prozent der Paare mit Kindern verheiratet.

Mit einer Individualbesteuerung würden Zweitverdienende, ganz unabhängig vom Zivilstand, nach ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit besteuert. Dies zu tun ist nicht nur eine Frage der Fairness, sondern sollte im Jahr 2022 eigentlich eine absolute Selbstverständlichkeit sein. Die Einführung würde zudem dazu führen, dass den Zweitverdienenden mehr vom Arbeitseinkommen zur Verfügung stehen würde und ihr Erwerbsanreiz dadurch substanziell erhöht würde. Für die Wirtschaft ist deshalb klar, dass ein solcher Zustand insbesondere vor dem sich stark akzentuierenden Arbeitskräftemangel nicht länger haltbar ist.

Das zeigt, wie langfristig und stark sich die tiefe Arbeitsmarktpartizipation auf Karriere und Finanzen der betroffenen Frauen auswirken.

Ein Blick auf die Arbeitsmarktzahlen von Frauen ist dabei sehr aufschlussreich. Obwohl ihre Erwerbsquote auch im internationalen Vergleich mit 63 Prozent hoch ist, fällt sie im Vergleich zu den Männern (73 Prozent) stark zurück. Zudem ist unter den Frauen Teilzeitarbeit deutlich weiterverbreitet als bei Männern. So waren 58 Prozent der Frauen und nur gerade 16 Prozent der Männer im Alter zwischen 15 und 64 Jahren 2021 teilzeitbeschäftigt. Bei den Müttern mit Kindern unter 15 Jahren arbeiten 8 von 10 Teilzeit und fast vier davon in einem Arbeitspensum unter 50 Prozent. Sind Frauen vor der Geburt des ersten Kindes noch zu durchschnittlich 89 Prozent erwerbstätig, so sind sie es nach der Geburt des ersten Kindes nur noch zu 59 Prozent. Über 15 Prozent der teilzeitarbeitenden Mütter geben an, dass sie im Falle von besseren Rahmenbedingungen im Arbeitsmarkt gerne mehr arbeiten würden. Bei den Vätern sind es gerade mal 2 Prozent.

Eine oft zitierte Studie der «American Economic Association» zeigt evidenzbasiert, wie viel weniger Mütter nach der Geburt des ersten Kindes («child penalty») im Vergleich zu Väter verdienen. Die Einkommen zwischen Müttern und Vätern variieren in der Schweiz im Durchschnitt um rund 68 Prozent, was im internationalen Vergleich ein sehr hoher Wert ist. Dies auch, weil sich durch die hohen Teilzeitaktivitäten von Müttern deren Karrierechancen stark verkleinern.

Die obigen Fakten zeigen zum einen das grosse Potenzial einer besseren Einbindung von Frauen in den Arbeitsmarkt, sie zeigen aber auch, wie langfristig und stark sich die tiefe Arbeitsmarktpartizipation auf Karriere und Finanzen der betroffenen Frauen auswirken.

Eine Studie von «Ecoplan» schätzt das zusätzliche Arbeitskräftevolumen für die Wirtschaft auf bis zu 60’000 vollzeitäquivalente Arbeitskräfte, die mit einer Einführung der Individualbesteuerung zusätzlich arbeiten würden. Die Höhe ist dabei jedoch auch abhängig davon, wie gut etwa die Vereinbarkeit von Familie und Beruf institutionalisiert ist. Denn ein gutes und finanziell attraktives Drittbetreuungsangebot und ein modernisiertes Steuersystem mit Individualbesteuerung bedingen einander gegenseitig, um für die Wirtschaft und Gesellschaft optimale Ergebnisse zu erzielen. Erfreulicherweise wird zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf im Parlament in Kürze eine Vorlage beraten, die die Attraktivität der Fremdbetreuung von Kindern durch eine Senkung der Elternbeiträge und eine Verbesserung der Rahmenbedingungen in den Kitas stark erhöhen soll.

Der Luxus, wegen eines antiquierten Systems zur Besteuerung der Ehegatten auf einen substanziellen Teil von Arbeitskräften zu verzichten und zugleich die Ungleichbehandlung der Geschlechter voranzutreiben, ist nicht länger haltbar. Verbesserungen sind notwendig, um zum einen den sich stark akzentuierenden Arbeitskräftemangel zu entschärfen und zum anderen die Forderung der Frauen nach Gleichstellung aufzunehmen. Es ist an der Zeit auf ein Steuersystem zu setzen, dass die Gleichstellung fördert und unabhängig vom Zivilstand ist. Auch gilt es die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit als Bemessungsgrundlage bei der Besteuerung anzuerkennen, wie dies die Initiative tut. Damit werden nicht nur Anreize für ein stärkeres Engagement im Arbeitsmarkt geschaffen, sondern es wird auch ein massgeblicher Beitrag zur Gleichstellung zwischen den Geschlechtern geleistet.