Gesundheitskosten nicht den Unternehmen und Bürgern aufbürden

24. September 2019 News

Kaum ist der zweiwöchige Vaterschaftsurlaub vom Parlament beschlossen, überschlagen sich die Forderungen nach Elternzeit und einem Betreuungsurlaub. Dabei wird die Frage nach dem gesunden Mass der Belastung von Arbeitgeber und -nehmer ausgeblendet.

Ein zunehmender Bedarf an Betreuung und Pflege, der nicht mehr allein durch das Gesundheitswesen gedeckt werden soll, neue Formen des familiären Zusammenlebens und die gewünschte steigende Arbeitsmarktpartizipation der Frauen lassen neue gesellschaftliche Forderungen nach Unterstützung bei der Pflege von Familienmitgliedern laut werden. Der Bundesrat reagierte darauf und legte dem Parlament ein neues Bundesgesetz zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Erwerbstätigkeit und Angehörigenbetreuung zur Beratung vor. Der Nationalrat sprach sich als Erstrat mit 129 zu 48 Stimmen bei sieben Enthaltungen insbesondere für den Ausbau der Regelung der kurzzeitigen Arbeitsabwesenheiten sowie für einen Betreuungsurlaub (19.027) aus. Der Schweizerischen Arbeitgeberverband (SAV) lehnt diesen Ausbau der Sozialwerke mit Nachdruck ab.

Augenmass gefordert

Die Bewältigung der Folgen der alternden Bevölkerung wird für das Gesundheitswesen in den nächsten Jahren zunehmend zur Herausforderung. Die Verlagerung dieser Herausforderung in die Arbeitswelt in Form von beitragsfinanzierten Lohnabgaben ist aber angesichts der organisatorischen, personellen und finanziellen Konsequenzen für die Unternehmen kein gangbarer Weg. Die Arbeitgeber lehnen deshalb eine weitere Erhöhung der Lohnkosten dezidiert ab. Geboten ist vielmehr Augenmass. Das ist dieser Tage bei einer Reihe von weiteren Anträgen zur zeitlichen Entlastung der Arbeitnehmer für private Anliegen gefragt, darunter der nun von beiden Räten beschlossene Vaterschaftsurlaub und die Forderungen nach Elternzeit oder einem Adoptionsurlaub.

«Die Arbeitgeber sind bereit, die Anliegen zur besseren Vereinbarkeit von Beruf und familiären Aufgaben im eigenen Einflussbereich zu verbessern», sagt Daniella Lützelschwab, Ressortleiterin Arbeitsmarkt und Arbeitsrecht beim Schweizerischen Arbeitgeberverband. Dies tun die Unternehmen mit verschiedenen, auf ihre betrieblichen Möglichkeiten abgestimmten Massnahmen. Insbesondere mit örtlich und zeitlich flexiblen Arbeitsformen kann den vielfältigen Bedürfnissen der Mitarbeiter gezielt entsprochen werden. Nicht zuletzt, weil die überwiegende Mehrheit der Unternehmen weniger als zehn Arbeitnehmer beschäftigt, sind flexible betriebliche Lösungen starren Vorschriften klar vorzuziehen.

Allein für den unlängst beschlossenen, zweiwöchigen Vaterschaftsurlaub dürften beispielsweise jährliche Kosten von gut 224 Millionen Franken anfallen. Diese sollen über die Erwerbsersatzordnung (EO) gedeckt werden, womit die Lohnabgaben sowohl für Arbeitnehmer als auch -geber vorerst um 0,05 Prozentpunkte ansteigen werden. «Das ist tragbar», heisst es aus politischen Kreisen. «Ist es nicht, wenn wir uns bewusstmachen, welche weiteren Forderungen nach einem EO-Ausbau im Raum stehen und wie die Belastung der Arbeitgeber und Arbeitnehmer in Form von Sozialabgaben in den letzten Jahren zugenommen hat», widerspricht Lützelschwab (siehe Grafik).

Grafik: Längst hat die Belastung der Bürger und der Wirtschaft durch Zwangsabgaben in der Schweiz praktisch europäische Spitzenwerte erreicht.

Gerade die Forderung, den Betreuungsurlaub wiederum über die EO zu finanzieren, führt dazu, dass der gesetzlich vorgeschriebene maximale Beitragssatz dieser Sozialversicherung bald erreicht würde.

Schmerzgrenze erreicht

Aus diesem Grund setzt sich der SAV bei all den genannten Vorstössen für freiwillige, betrieblich angepasste Lösungen anstelle eines gesetzlichen Einheitskorsetts ein. Die Praxis zeigt eindeutig, dass auf betrieblicher Ebene individuelle Lösungen gefunden werden, die häufig grosszügige Leistungen beinhalten. Das sind zum einen eine grössere zeitliche oder örtliche Autonomie bei der Gestaltung der Arbeitszeit sowie des Arbeitsorts, zum anderen Ferientage. Mit dieser Freiwilligkeit positioniert sich ein Unternehmen nicht nur als attraktiver Arbeitgeber, sondern ist auch flexibel genug, den Wünschen der eigenen Belegschaft massgeschneidert Rechnung zu tragen.

Der vorgeschlagene Betreuungsurlaub ist einmal mehr Symbolpolitik. «Angesichts der riesigen finanziellen Herausforderungen, die wegen der Überalterung auf die Sozialwerke zukommen, geht es nicht an, zunehmend Leistungen des Gesundheitswesens in die lohnbeitragsfinanzierten Sozialwerke EO, IV oder AHV zu verschieben», betont Martin Kaiser, SAV-Ressortleiter Sozialpolitik und Sozialversicherungen. Der SAV macht seit Jahren auf diese Problematik aufmerksam. Allein die Sicherung des Rentenniveaus erfordert nebst der schrittweisen Anhebung des Rentenalters eine happige Erhöhung der Mehrwertsteuer für die AHV sowie 0,9 Lohnbeitragsprozente für Kompensationsmassnahmen im BVG. «Für die Konkurrenzfähigkeit insbesondere der exportierenden KMU-Wirtschaft liegt einfach keine zusätzliche Verteuerung des Faktors Arbeit drin», erklärt Kaiser. Schliesslich habe die Schweiz hinsichtlich der Belastung der Wirtschaft und Bürger mit Steuern und Abgaben inzwischen sogar Deutschland überholt.