Wo der Schuh beim Fachkräftemangel wirklich drückt

27. Februar 2023 News

Die Analyse der Vakanzdauern von Stelleninseraten lässt dank detaillierten Daten differenziertere Rückschlüsse als in bisherigen Studien zu. Sie ermöglicht damit bessere Aussagen zu den Herausforderungen von Branchen, Regionen und sogar einzelnen Berufen.

Etwas mehr als sechs Wochen ist ein Stelleninserat in der Schweiz durchschnittlich online geschaltet. Dies zeigt eine Analyse, die im Auftrag des Schweizerischen Arbeitgeberverbands (SAV) von der Konjunkturforschungsstelle (KOF) und Volkswirtschaftliche Beratung (BSS) durchgeführt wurde. Ausgewertet wurde die Vakanzdauer von Stelleninseraten im Schweizer Online-Stellenmarkt. Die Vakanzdauer beschreibt den Zeitraum zwischen Aufschaltung und Löschung eines Inserats auf einer Plattform – und ist somit die Dauer, während der eine Stelle unbesetzt ist. Dafür wurden rund 3,1 Millionen Online-Stelleninserate im Zeitraum von 2018 bis 2021 ausgewertet.

Für diese Studie wurde angenommen, dass Bereiche, in denen es viele ausgeschriebene Stellen gibt, verhältnismässig wenig geeignete Stellensuchende verfügbar sind und dies im Umkehrschluss den Fachkräftemangel widerspiegelt. Die Analyse wird für die Gesamtwirtschaft und die drei ausgewählten Fokusbranchen Baugewerbe, Gesundheitswesen und Informatik durchgeführt. Das Ziel der gesamtwirtschaftlichen Betrachtung ist, zu eruieren, welche Branchen, Berufe und Regionen mit den längsten Vakanzdauern und somit dem grössten Fachkräftemangel zu kämpfen haben und welche Stellenmerkmale die Dauer der Vakanz verlängern.

Entgangene Wertschöpfung aufgrund langer Vakanzdauern

Die Analyse der Vakanzdauern ermöglicht eine Schätzung des gesamtwirtschaftlichen Wertschöpfungsverlusts basierend auf den fehlenden produktiven Arbeitsstunden. Dazu wurden nur Stellen berücksichtigt, die übermässig lange offenblieben, also länger als ein vordefinierter Durchschnittswert. Der Wertschöpfungsverlust für die Gesamtwirtschaft beläuft sich dabei auf bis zu 0,66 Prozent des Bruttoinlandprodukts, was fast fünf Milliarden Franken ergibt. «Diese überdurchschnittlich lange offenen Stellen kosten die Schweizer Volkswirtschaft jährlich eine enorme Summe Geld. Dieser Zahl muss sich die Politik bewusst sein, wenn sie über Gelder für Massnahmen zur besseren Ausschöpfung des inländischen Arbeitskräftepotenzials entscheidet», sagt SAV-Chefökonom Simon Wey, der auf Seiten der Auftraggeber für diese Studie verantwortlich zeichnet.

Grosse Unterschiede zwischen einzelnen und Branchen und Berufen

Sowohl bei den einzelnen Stellen als auch bei den Branchen finden sich bei der Vakanzdauer grosse Unterschiede. Am längsten sind Jobs in den Branchen «Architektur und Planung», «Holz und Papier» sowie dem Baugewerbe ausgeschrieben. Der Prämisse folgend, ist dort also auch der Fachkräftemangel am höchsten. Ebenfalls stark betroffen von fehlenden Arbeitskräften sind die Branchen «Umwelttechnik», «Wasserversorgung», «Informatik» und die verschiedenen MEM-Branchen.

Vakanzdauer nach Wirtschaftsbranche. Nicht hervor geht die jeweilige Anzahl Stelleninserate pro Branche.

Abbildung 1: Vakanzdauer nach Wirtschaftsbranche. Nicht hervor geht die jeweilige Anzahl Stelleninserate pro Branche. Quelle: BSS Volkswirtschaftliche Beratung AG

Wie BSS und KOF im Schlussbericht schreiben, ist der Fachkräftemangel in den technischen Berufen der Industrie und des Baugewerbes am höchsten. Vergleicht man die verschiedenen Berufsfelder, zeigt sich, dass die Nachfrage bei Bau- und Ausbaufachkräften, Montageberufen sowie bei Fachpersonen für Elektrik und Elektronik am höchsten ist. SAV-Chefökonom Wey erklärt: «Diese Erkenntnisse aus den Branchen zeigen, dass gerade bei anstehenden Herausforderungen wie der Energiewende, der Digitalisierung oder der Automatisierung ein grosser Mangel an spezialisiertem Personal besteht. Ein Fakt, dessen sich viele noch nicht bewusst sind und der wichtige Zukunftsprojekte der Schweiz gefährdet.»

Weiter zeigt der Bericht, dass im Baugewerbe die durchschnittliche Vakanzdauer bei Heizungsinstallateurinnen und -installateuren, Zimmerleuten sowie technischen Zeichnerinnen und Zeichnern am längsten ist. Im Gesundheitswesen sind es Ärztinnen und Ärzte, Medizintechnikerinnen und -techniker sowie Pflegende. Unternehmen in der Informatikbranche sind besonders lange auf der Suche nach Bauelektrikerinnen und -elektrikern, Softwareentwickelnden und Netzwerkspezialistinnen und -spezialisten.

Abbildung 2: Berufe mit der höchsten bzw. tiefsten Vakanzdauer, Gesamtwirtschaft. Quelle: BSS Volkswirtschaftliche Beratung AG

Abbildung 2: Berufe mit der höchsten bzw. tiefsten Vakanzdauer, Gesamtwirtschaft. Quelle: BSS Volkswirtschaftliche Beratung AG

Fachkräftemangel regional unterschiedlich ausgeprägt

Am schnellsten werden die Stellen in der Westschweiz – besonders in den Kantonen Genf und Waadt – besetzt, schweizweit am längsten dauert es in der Inner- und Ostschweiz sowie im Kanton Aargau. Des Weiteren zeigt sich, dass dies sowohl für die Gesamtwirtschaft als auch für die vorab definierten Fokusbranchen Baugewerbe, Gesundheitswesen und Informatik gilt.

Abbildung 3: Durchschnittliche Vakanzdauer nach Kanton, Gesamtwirtschaft. Quelle: BSS Volkswirtschaftliche Beratung AG

Abbildung 3: Durchschnittliche Vakanzdauer nach Kanton, Gesamtwirtschaft. Quelle: BSS Volkswirtschaftliche Beratung AG

Lesebeispiel: Im Kanton Glarus beträgt die durchschnittliche Vakanzdauer 50 Tage. Anmerkungen: Die Zuteilung der Inserate zu Kantonen basiert auf dem angegebenen Arbeitsort im Stelleninserat. Alle Inserate mit Publikationsdatum im Zeitraum 2018 bis 2021. Quelle: x28, eigene Berechnungen.

Fazit

Mit dem neuartigen und innovativen Ansatz, die Vakanzdauer von Stellenprofilen differenzierter als bisher zu analysieren, können wichtige Kenntnisse gewonnen werden, die zur Minderung des Fachkräftemangels beitragen können. Ebenso ist es eine Anleitung für die Betriebe, wohin sie sich bewegen müssen, um Stellen zukünftig schneller zu besetzen. «Folgendes fiktives Beispiel fasst die Erkenntnisse der Studie treffend zusammen: Ein Arbeitgeber (KMU), der eine Vollzeitstelle als Heizungsinstallateur in St. Gallen ausgeschrieben hat und zusätzlich Reisebereitschaft, Englischkenntnisse und Innovationskraft voraussetzt, dürfte sich auf eine längere Vakanzdauer einstellen müssen», erklärt Simon Wey.

Siehe auch: 

Artikel in der Aargauer Zeitung vom 27. Februar 2023 (hinter der Bezahlschranke)