Multiple Krisen – Wirtschaft als Partner

26. Juli 2023 Fokus

Als Sommerserie publiziert der Schweizerische Arbeitgeberverband einzelne Beiträge des kürzlich publizierten Jahresberichts in leicht gekürzter oder aktualisierter Form.

Unvorhersehbare Krisen stellen die Gesellschaft und die Wirtschaft auf eine harte Probe. Die auch im internationalen Vergleich erfolgreiche Krisenbewältigung der Schweiz dürfte nicht zuletzt auch auf das Bestreben zurückzuführen sein, trotz divergierender Interessen einen möglichst breiten Konsens in der Gesellschaft zu finden. Auch die Arbeitgeber spielen dabei eine tragende Rolle.

Volkswirtschaften sind immer wieder mit neuen Herausforderungen konfrontiert, wobei nach wie vor die sogenannten Megatrends – Digitalisierung, demografische Entwicklung oder zunehmendes Bedürfnis nach erhöhter Flexibilität – prägend sind. Megatrends führen zwar zu Veränderungen, diese sind aber für die Unternehmen planbar. Gefordert sind hier in erster Linie die einzelnen Betriebe, welche sich an die neuen Gegebenheiten anpassen müssen. Der Schweizerische Arbeitgeberverband (SAV) setzt sich in diesem Kontext für optimale Rahmenbedingungen ein, damit die bevorstehenden Transformationen möglichst erfolgreich verlaufen und befasst sich mit Lösungen zur Behebung struktureller Herausforderungen wie etwa des Fachkräftemangels.

Von den planbaren Herausforderungen zu unterscheiden sind unvorhersehbare Krisen, bei denen es zu plötzlichen, massiven Änderungen der Rahmenbedingungen kommt. Stets von solchen «Krisenereignissen» geprägt ist das Verhältnis der Schweiz zur Europäischen Union (EU). Nach der Beitrittsablehnung zum Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) vor drei Jahrzehnten folgten Jahre der wirtschaftlichen Unsicherheiten. Erst mit den Bilateralen Verträgen gelang es der Schweiz, die Beziehungen zur EU zu klären und für Schweizer Unternehmen mit den EU-Mitgliedern vergleichbare Chancen auf dem EU-Markt zu schaffen. Im Weiterentwicklungsprozess der Bilateralen Verträge bahnte sich jedoch durch die Annahme der Masseneinwanderungsinitiative (MEI) eine neue Krise an. Die durch die MEI vorgesehene Wiedereinführung von Kontingenten und Höchstzahlen für ausländische Arbeitnehmende führte zu grossen Unsicherheiten und sich anbahnenden Verteilkämpfen zwischen und innerhalb der einzelnen Wirtschaftsbranchen. Aufgrund der sogenannten Guillotine-Klausel drohte gar der gesamte Wegfall der bilateralen Verträge, der gerade für die Schweiz als exportorientiertes Land ein schwerer Schlag und mit grossen Planungsschwierigkeiten für Betriebe verbunden gewesen wäre. Zur Bewältigung dieser potenziellen Krise setzte der Bund technische Arbeitsgruppen unter Einbezug der Sozialpartner ein, um einerseits sämtliche Interessen bestmöglich zu berücksichtigen und andererseits den drohenden Bruch mit der EU weitestgehend zu entschärfen. Nach dem Scheitern des Rahmenvertrages ist es nun von eminenter Wichtigkeit, dass die Schweiz die noch offenen Fragen mit der EU regeln und ein auch innenpolitisch akzeptables Verhandlungsmandat im nächsten Jahr abschliessen kann.

Mit dem Ausbruch des Coronavirus erlebten die Welt und die Schweiz eine Krise bislang unbekannten Ausmasses. Die Corona-Pandemie mit den damit verbundenen Lockdowns führte zu schwerwiegenden staatlichen Eingriffen. Die Betriebe in verschiedenen Branchen wurden gar gezwungen, ihre unternehmerischen Tätigkeiten ganz einzustellen. Auch hier setzte der Bundesrat zur Krisenbewältigung technische Arbeitsgruppen unter Einbezug der Sozialpartner ein. Dadurch konnten einerseits auch im internationalen Vergleich pragmatische und wirtschaftsfreundliche Lösungen gefunden werden, welche die verschiedenen Interessen gut miteinander in Einklang brachten. Andererseits konnten die negativen Auswirkungen auf ein Minimum reduziert werden. Ausschlaggebende Massnahmen waren dabei der durch die Digitalisierung begünstigte flächendeckende Einsatz von Homeoffice, die verhältnismässigen Schutzkonzepte in den Betrieben und die finanzielle Absicherung, namentlich für Betriebe, die trotz Schutzkonzepten ihre unternehmerische Tätigkeit noch nicht wiederaufnehmen durften.

 

«Die Schweiz muss sich der Dringlichkeit des EU-Dossiers bewusst sein und die Verhandlungen mit der EU zu einem Abschluss führen.» SGB-Chefökonom Daniel Lampart (SGB) und SAV-Direktor Roland A. Müller an der Podiumsdiskussion von «stark + vernetzt». (Keystone)

Kaum zeichnete sich das Ende der Coronakrise ab, folgte auf der geopolitischen Bühne mit dem Ukrainekrieg eine neue Krise, mit welcher – zumindest in diesem Ausmass – in der heutigen globalisierten Welt niemand ernsthaft gerechnet hatte. Die negativen Auswirkungen dieser Krise waren bald in Form von Inflation, Flüchtlingsströmen, Lieferengpässen und insbesondere einer Energiemangellage spürbar. Spätestens ab diesem Zeitpunkt kann von einer gewissen «Normalität unvorhersehbarer Ereignisse» gesprochen werden. Die verschiedenen technischen Arbeitsgruppen der Coronakrise tagten in angepasster Zusammensetzung sogleich weiter. Auch in der Ukrainekrise ist die Schweiz, insbesondere mit Blick auf die Inflation, bisher vergleichsweise gut über die Runden gekommen, und die schlimmsten Szenarien einer Energiemangellage traten nicht ein. Die Situation bleibt indessen mit erneuten Eskalationen im geopolitischen Konflikt angespannt. Die Wirtschaft ist auf stabile globale Verhältnisse und damit auf eine rasche Beilegung des Konflikts angewiesen. Politische Alleingänge gilt es zu vermeiden, stattdessen müssen die Massnahmen mit der EU abgestimmt werden. Nur so kann die Schweiz ihre Rolle als Vermittlerin zur Krisenbeilegung auch inskünftig glaubwürdig wahrnehmen.

Zu den oben erwähnten Krisen reihte sich Anfang 2023 eine neue Krise, ausgelöst durch die Verwerfungen auf den internationalen Finanzmärkten. Auch der Schweizer Finanzplatz wurde in diesen Strudel hineingezogen. Glücklicherweise konnten die involvierten Unternehmen und die Regierung diese Krise rasch eindämmen und eine grössere schweizerische oder sogar globale Bankenkrise mit einem immensen Schaden für unsere Wirtschaft verhindern.

Die vergangenen und aktuellen Krisen haben gezeigt, dass sie das Potenzial haben, die Gesellschaft zu spalten und für innenpolitische Spannungen zu sorgen. Die im internationalen Vergleich erfolgreiche Bewältigung all dieser Krisen dürfte nicht zuletzt auch auf das Streben der Schweiz nach einem möglichst breiten Konsens, trotz divergierender Interessen, zurückzuführen sein. Dies ist bisher durch die Einbindung verschiedener Interessengruppen auch den Arbeitgebern gut gelungen. Auch eine gewisse Zurückhaltung gegenüber staatlichen Massnahmen spielt dabei eine Schlüsselrolle. Trifft der Bund nämlich Massnahmen, muss auch die Bevölkerung diese mittragen. Die abwägende Haltung des Bundes und die Suche nach verhältnismässigen Lösungen für die Wirtschaft sind Ausdruck von gegenseitiger Akzeptanz und Respekt zwischen Politik und Arbeitgebern und erlaubt es den Einzelpersonen und privaten Gruppierungen, ihre Interessen trotz gegensätzlicher Ansichten möglichst frei zu verfolgen.

Die Wirtschaft ist in diesem Kontext auch weiterhin als bewährter Partner bereit, für die innere Stabilität tragfähige Lösungen zu finden. So wird es den Arbeitgebern zusammen mit ihren Partnern auch bei künftigen Krisen gelingen, diese auf konsensualem Weg erfolgreich zu meistern.