Gesundheitlich beeinträchtigten Menschen die Chance geben, am Arbeitsmarkt teilzunehmen

20. Juni 2018 Medienbeiträge

Der Verein Compasso unter dem Patronat des Schweizerischen Arbeitgeberverbandes befasst sich mit den Fragen der beruflichen Integration und Wiedereingliederung an der Schnittstelle von Unternehmern, Betroffenen, IV, Suva, Pensionskassen und Privatversicherern. Martin Kaiser, Mitglied der Geschäftsleitung des Schweizerischen Arbeitgeberverbandes und Präsident von Compasso, im Gespräch mit Beda Meier, Direktor der Valida.

«Wer Arbeit hat, gehört dazu». Das ist offensichtlich auch für den Arbeitgeberverband ein wichtiges Thema.
Definitiv. «Arbeit geben» steckt bereits in unserem Namen und wir kümmern uns darum, dass Menschen in der Schweiz Arbeit haben. Dazu gehört auch unser Engagement bei Leuten mit einer Beeinträchtigung. Wir sind davon überzeugt, dass Arbeit sinnstiftend ist, Wertschätzung bringt und Teilnahme am Alltag ermöglicht.

Deshalb das Engagement des Arbeitgeberverbands im Projekt Compasso?
Ja, denn wir sind der Meinung, dass noch mehr Menschen mit Beeinträchtigung eine berufliche Perspektive haben sollen. Die Lösung: Möglichst viele Betroffene sollen sich auf dem Arbeitsmarkt ganz oder wenigstens teilweise integrieren können. Dies nützt der Wirtschaft, den Arbeitgebern, der Gesellschaft, den Sozialversicherungen und natürlich insbesondere auch den Betroffenen. Unser Ziel ist es, möglichst vielen gesundheitlich beeinträchtigten Menschen eine Chance zu geben, ganz selbstverständlich am Arbeitsmarkt teilzunehmen. Hier unterscheide ich ungerne zwischen dem ersten und dem zweiten Arbeitsmarkt, sondern sehe ihn als Ganzes. Dieses Engagement hat vor bald 10 Jahren zur Gründung von Compasso geführt. Gemeinsam mit den Dachorganisationen der Behinderten kamen wir zum Schluss: Wir wollen etwas tun. Compasso steht unter dem Patronat des Arbeitgeberverbandes und fördert die Arbeitsintegration von beeinträchtigten Personen. Wir arbeiten an der Vereinfachung und besseren Vernetzung von Prozessen, entwickeln KMU-taugliche Instrumente und sensiblisieren.

Was macht Compasso erfolgreich?
Dass es viele Erfolgsgeschichten bei der Erhaltung des Arbeitsplatzes oder der Eingliederung gibt, zeigt die Halbierung der IV-Neurenten in den letzten 10 Jahren. Die Bedingung dafür sind sensibilisierte Arbeitgebende. Diese können entweder hin- oder wegschauen. Sie stehen alleine da und wissen, dass es wegen Sozialversicherungen und rechtlichen Fragen kompliziert werden könnte, schaue ich vielleicht lieber weg. Damit das nicht passiert, sind Netzwerke und massgeschneiderte Unterstützungen nötig, die das Ziel aus der Optik des Arbeitgebenden betrachten. Was braucht es, damit berufliche Eingliederung funktioniert? Deshalb brauchen wir eine breite Palette an Netzwerkpartnern, zu denen auch Organisationen wie die Valida mit ihren Dienstleistungen gehören.

Sie möchten die Unterscheidung zwischen dem ersten und zweiten Arbeitsmarkt möglichst vermeiden.
Ich spreche lieber vom allgemeinen Arbeitsmarkt und sehe die Dinge auch stark aus der Optik der Jungen. Für sie ist es besonders verhängnisvoll, wenn man zu rasch eine definitive Entscheidung für eine Rente oder für den Verbleib im Setting einer spezialisierten Werkstatt trifft. Mir ist es wichtig, dass wir nicht mit Schubladendenken arbeiten, sondern den Horizont öffnen.

Wir müssen die Grenzen fliessender machen. Als spezialisiertes Unternehmen für die berufliche Integration ist es uns möglich, bei Erwachsenen im Arbeitsprozess oder bei Jugendlichen in der Ausbildung eine Brückenfunktion, aber auch eine Rückfallebene für Krisensituationen zu bieten.
Das finde ich sehr wertvoll. Wenn es bei jemandem einen Unterbruch gibt, weil er oder sie einen Rückfall erleidet und einige Monate ein Spezialsetting benötigt, dann braucht es Unternehmen wie die Valida. Ich finde auch das Modell eines Arbeitsversuchs wichtig. Warum? Weil man das Risiko herausnehmen kann. Als Arbeitgeber sollte man sich dafür engagieren können, dass jemand beruflich durchstarten kann, ohne gleich das volle Verantwortungs- und Finanzrisiko zu tragen. Dasselbe gilt für die betroffenen Menschen: Sie sollen einen Versuch starten können, ohne den Druck zu haben, bei einem Misserfolg finanziell benachteiligt zu sein. Ein weiterer Punkt sind die «Mischformen» – also Jugendliche, die zuerst in einer Institution wie Valida vorbereitet werden und dann ihre Ausbildung in einem Lehrbetrieb weiterführen können. Dann existiert noch eine dritte Gruppe, die den Schritt in den freien Arbeitsmarkt wohl nie schaffen wird, weil es der Beeinträchtigungsgrad es nicht zulässt. Dort ist es legitim, dass es Angebote in Werkstätten gibt, n denen diese Leute eine sinnstiftende und wertschätzende Leistung erbringen können, die soziale Kontakte und einen Austausch schafft.

Wir sind uns einig, dass wir das Zusammenspiel zwischen spezialisierten Betrieben mit angepassten Arbeitsplätzen und dem allgemeinen Arbeitsmarkt verbessern können.
Ich denke, es muss in Richtung modulareres Arbeiten gehen. Die Angebote der spezialisierten Betriebe müssen modularer und durchlässiger werden. Aber im Gegenzug muss dafür gesorgt werden, dass das Finanzierungssystem dies auch honoriert und die Anreize richtig gesetzt sind. Es funktioniert nicht, wenn eine Einrichtung finanziell schlechter dasteht, wenn sie Menschen aus einer Einrichtung in den freien Arbeitsmarkt weiter entwickelt.

So ist es. Es dürfte finanziell nicht attraktiver sein, jemanden als Mitarbeiter im Betrieb zu behalten. Heute habe ich aber den Zielkonflikt: Ist der Arbeits- oder Ausbildungsplatz besetzt, wird die Leistungabgeltung des Kantons ausbezahlt, ist der Arbeitsplatz nicht besetzt, fällt die Leistungsabgeltung weg.
Deshalb arbeitet Compasso an einem Projekt zur erstmaligen beruflichen Eingliederung. Ohne den Ergebnissen vorgreifen zu wollen, lässt sich jetzt schon sagen: Aus Analysen und Berichten sehen wir, dass das Thema Ausbildung – also die erste Schnittstelle Schule – sehr gut beleuchtet ist. Im Gegensatz zur zweiten Schnittstelle: Was passiert mit den Menschen nach der Ausbildung in Institutionen wie der Valida? Können die Zielsetzungen überhaupt erreicht werden? Dort verlangen wir als Arbeitgeberverband, dass die Anreize so ausgestaltet werden, dass Sie die Leute derart vorbereiten, dass diese später «nach draussen» können – und nicht, dass es Anreize gibt, die für Sie womöglich wirtschaftlich interessant sind, so dass beispielsweise der bestausgebildete Gärtner dem zweiten Arbeitsmarkt erhalten bleibt. Das ist weder für die Institution für die Betroffenen und uns befriedigend. Denn die Politik erwartet wiederum von den Arbeitgebern, dass sie Menschen mit Beeinträchtigungen den Arbeitsplatz erhalten können oder ihnen einen neuen zur Verfügung stellen.

Bei den Jugendlichen in Ausbildung kommt jetzt Bewegung ins System. Die kantonale IV-Stelle hat kürzlich Integrationsprämien in Aussicht gestellt. Bei den Erwachsenen aber fehlt ein konkretes Modell, das die Fehlanreize beseitigen würde. Hier wäre die SODK gefragt.
Die SODK hat kürzlich beschlossen, Mitglied von Compasso zu werden. Dies ist das erfreuliche Resultat aus Gesprächen, bei denen wir die Sozialdirektoren überzeugen konnten, dass sie als einflussreicher Systempartner für uns wichtig sind. Genau bei Projekten wie der erstmaligen beruflichen Eingliederung braucht es auch die Sozialdirektoren am Tisch.

Das Interview mit Martin Kaiser ist in der Valida Zeitung erschienen.