Handlungsbedarf beim BVG-Mindestzins

23. August 2019 News

Die sich akzentuierende Alterung trübt die Aussichten für die Altersvorsorge ein. Zudem nehmen politische Spannungen weltweit zu, was auf die Konjunktur und die Finanzmärkte durchschlägt. Das bleibt nicht ohne Folgen für die nachhaltige Finanzierung von Vorsorgeeinrichtungen. Für den Schweizerischen Arbeitgeberverband ist deshalb klar: Der BVG-Mindestzins kann für 2020 nicht über 0,5% liegen. Zudem ist das Konzept des Mindestzinses nicht zukunftstauglich.

Die AHV und die berufliche Vorsorge (BVG) befinden sich in einem schwierigen Umfeld, da die garantierten Rentenleistungen aufgrund der demografischen Alterung und der zu tiefen Anlagerenditen an den Finanzmärkten nicht mehr hinreichend finanziert werden können. Dies führt zu einer starken Umverteilung von den aktiven Versicherten hin zu den Rentnern, was auf Dauer unhaltbar ist. Hinzu kommen nicht mehr sachgerechte, politisch festgelegte Parameter. Überfällig ist beispielsweise der zwingende Schritt zur Stabilisierung von AHV und BVG, die Angleichung des Rentenalters von Frau und Mann. Auch die Anpassung des Mindestumwandlungssatzes als zentralster Parameter im BVG ist längst fällig. Den nationalen Dachverbänden der Sozialpartner (Schweizerischer Gewerkschaftsbund SGB, Travail.Suisse und SAV) ist es diesen Sommer immerhin gelungen, einen gemeinsamen Reformvorschlag zur Senkung des Mindestumwandlungssatzes gemäss BVG zu präsentieren, der gleichzeitig das bisherige Leistungsniveau sichert.

Ein weiterer wichtiger technischer Parameter der beruflichen Vorsorge ist der Mindestzins, der derzeit bei 1,0% liegt. Der Mindestzins hat eine Garantiefunktion, die vom Bundesrat auf Empfehlung der Eidgenössischen BVG-Kommission festgelegt wird und bestimmt, wie das Altersguthaben mindestens verzinst werden muss. Alle Jahre wieder muss sich die BVG-Kommission nach den Sommerferien mit dem Thema befassen und dem Bundesrat eine Empfehlung für das nächste Jahr abgeben.

Die Kommission muss von Gesetzes wegen für ihre Empfehlung die Rendite marktgängiger Anlagen berücksichtigen, namentlich der Bundesobligationen, der Aktien, der Anleihen und der Immobilien. Zudem hat sie weitere Kriterien in ihre Abwägungen einzubeziehen, darunter die finanzielle Situation der Vorsorgeeinrichtungen, die Teuerung oder die Tragbarkeit des Mindestzinssatzes für die BVG-Minimalkassen und die Sammel- und Gemeinschaftseinrichtungen. Die Kommission orientiert sich dabei an einer Formel, die die wesentlichen Kriterien berücksichtigen soll. Allerdings ist es der BVG-Kommission bisher nicht gelungen, sich auf eine einzige massgebliche Formel zu verständigen. Entsprechende Versuche sind wiederholt gescheitert. Nach vielen Jahren konstanter Praxis mit einer Mehrheits- und einer Minderheitsformel entschied sich eine Mehrheit der Kommission im letzten Jahr – gegen die Position der Wirtschaft – für eine neue Formel, die den Entwicklungen besser Rechnung tragen soll. Die Arbeitgeber kritisierten die neue Berechnung stark, weil sie von Monat zu Monat zu grossen Schwankungen führen kann und die verschiedenen Formen von Vorsorgeeinrichtungen nur ungenügend berücksichtigt. Die Kommission trug der Kritik wenigstens insofern Rechnung, als sie entschied, die «alte» Mehrheitsformel während mindestens drei Jahren parallel weiter zu führen.

Auffallend ist nun, dass trotz den verschiedenen Gewichtungen der weitgehend identischen Bestandteile der Formeln derzeit alle Ergebnisse praktisch gleich sind. Sämtliche Formeln – auch die bis im letzten Jahr als sogenannte «alte Minderheitsformel» verwendete Formel – ergeben für das Jahr 2020 einen Mindestzins von 0,5%. Dies mag auf den ersten Blick erstaunen. Allerdings befindet sich die Schweiz seit Jahren in einem Tiefzinsumfeld, und selbst 10-jährige Bundesobligationen werfen aktuell eine Rendite von weniger als -1,0% ab. Darüber hinaus trüben sich die Aussichten der Weltwirtschaft zusehends ein. Zwischen den USA und China herrscht ein Handelskrieg, der sich negativ auswirkt. Die EU und Grossbritannien ringen um eine Lösung für den Brexit. Frankreich und Italien schlagen sich mit strukturellen Problemen herum. Und auf die demografische Alterung und ihre Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt wie auf die Altersvorsorge ist weder im Ausland noch in der Schweiz eine schlüssige Antwort gefunden worden. In diesem Umfeld hat die Kommission keine Argumente, um selbst vom Ergebnis ihrer mehrheitlich vertretenen neuen Formel abzuweichen.

Die BVG-Kommission wird also nicht darum herumkommen dem Bundesrat für 2020 einen Mindestzinssatz von 0,5% empfehlen zu müssen. Sonst würde sie an der Realität vorbeizielen und die jetzt schon schwierige Situation weiter akzentuieren, mit der die Welt der beruflichen Vorsorge oder mindestens Teile davon konfrontiert ist.

Nur ein politischer Spielball

Das Konzept des Mindestzinssatzes müsste grundsätzlich überarbeitet werden. Für die Arbeitgeber trägt dieses Konzept den unterschiedlichen Vorsorgetypen und ihren unterschiedlichen Regulierungen nicht genügend Rechnung. Darum ist es nicht mehr zukunftstauglich. «Alles über einen Leisten zu schlagen, ist weder sinnvoll noch notwendig», sagt Martin Kaiser, SAV-Ressortleiter Sozialpolitik und Sozialversicherungen. Der Mindestzinssatz ist in der Praxis vor allem für eine kleine Zahl von Vorsorgeeinrichtungen wichtig, die ausschliesslich oder überwiegend Vorsorgeleistungen im obligatorischen Bereich anbieten oder die aus anderen Gründen finanziell unter Druck stehen. Es wäre deshalb logisch, die Kompetenz zur Bestimmung der Höhe der Verzinsung der Altersguthaben in die Hände der paritätisch zusammengesetzten Stiftungsräte zu geben. Denn sie wären am besten in der Lage, die Situation ihrer Vorsorgeeinrichtung richtig einzuschätzen und eine partnerschaftliche Lösung zwischen Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertretern zu finden.

Für die Garantie des verfassungsmässigen Leistungsziels genügt der gesetzlich geregelte Mindestumwandlungssatz vollauf. Gestützt auf die langjährigen Erfahrungen sind auch Befürchtungen unberechtigt, wonach möglichst viele Vorsorgeeinrichtungen eine möglichst tiefe Verzinsung beschliessen würden. Es zeigt sich klar, dass auch gegenwärtig nur jene Vorsorgeeinrichtungen den Mindestzins anwenden, die in einer schwierigen Situation sind. Die grosse Mehrheit der Einrichtungen verzinst das Altersguthaben ihrer Versicherten gemäss ihren Möglichkeiten zu einem häufig sogar deutlich höheren Wert, was auch erwünscht ist. Die paritätischen obersten Organe haben keinerlei Interesse, ihren Destinatären eine unnötig tiefe Verzinsung zukommen zu lassen. Problematisch ist hingegen, dass der technische Parameter Mindestzins immer mehr verpolitisiert wird. Solange das gesetzliche Konzept nicht angepasst wird, dürfte sich daran nichts ändern.