Eine Rentenreform mit Steilpass zum Scheitern

6. Oktober 2015 Meinungen

Um die vom Bundesrat aufgelegte Rentenreform steht es nicht gut. Alle wissen es: Einen Reformabsturz ertrüge das Vorsorgesystem nicht – Finanzen und Rentensicherheit gerieten aus den Fugen. Doch der Ständerat gibt einen unverantwortlichen Steilpass ins Leere, provoziert einen Generationenkonflikt und löst einen medialen Sturm der Entrüstung aus. Was ist geschehen? Weshalb dieser Aufschrei nach vom Ständerat getaner Arbeit, der sonst als «chambre de réflexion» für sein sorgfältiges und austariertes Handeln bekannten Kammer?

Das Unheil nahm bereits mit der unglücklichen, weil überladenen Mammutvorlage von Bundesrat Berset seinen Lauf: Das Kalkül, dem Parlament ein überladenes Gesamtpaket zuzuführen und zu glauben, «dieses würde es dann schon richten», droht nicht aufzugehen. Die erste grosse Reform des Innenministers steht auf Messers Schneide. Mit seinem Leistungsausbau und seiner Vermischung der ersten und zweiten Säule – mit einer AHV-Rentenerhöhung für Neurentner von 70 Franken pro Monat soll eine Rentenkürzung in der zweiten Säule mehr als kompensiert werden – wählte der Ständerat nun bereits bei der ersten Weggabelung den Weg in die Sackgasse. Schon von Beginn weg mahnte der Schweizerische Arbeitgeberverband, sich mit Sorgfalt und Augenmass an die Jahrhundertrevision zu wagen. Deshalb steht in seinem Konzept die Sicherung der Renten für die nächsten 10 Jahre im Zentrum.

Kein Gehör für diesen verantwortungsvollen Weg hatte nach dem Bundesrat nun auch der Ständerat. Eifrig nahm die kleine Kammer die bundesrätliche Mammutvorlage auf und hübschte sie kurz vor den Wahlen weiter auf – getreu dem Motto «Wahltag ist Zahltag». Offensichtlich wollten sich einige abtretende SGK-Mitglieder ein Denkmal setzen: Ausbau statt Sicherung, Vermischung statt Systemkonformität! Das Abstimmungsresultat in der kleinen Kammer lässt aufhorchen: 15 Parlamentarierinnen und Parlamentarier, mithin ein Drittel der kleinen Kammer, drückten ihren Unmut mit Nein- bzw. Enthaltungsstimmen aus. Auch unter den Ja-Stimmen sind viele damit zu erklären, dass das Geschäft rasch vor den Wahlen abgeschlossen und dem Nationalrat überwiesen werden kann. Also: Wer glaubt, die ständerätliche Lösung sei breit abgestützt, könnte sich vehement täuschen. Der nächstbehandelnde Nationalrat wird sich ob dieses Bärendiensts seinen eigenen Reim machen. Die kleine Kammer hat also wahrlich einen Steilpass zum Scheitern gespielt.

 

Der Leistungsausbau des Ständerats bei der AHV verkennt die demografische Realität.

Besonders bedenklich ist, dass der Ständerat Geld ausgeben will, das er nicht hat. Mit seinen Aufbesserungen vergrössert er das Finanzloch in der AHV per 2030 um 1,4 Milliarden Franken pro Jahr. Bereits 2035 werden die Kosten für den Ausbau aufgrund der demografischen Dynamik auf jährlich 2,1 Milliarden Franken angewachsen sein. Der Leistungsausbau des Ständerats verkennt die demografische Realität: In 30 Jahren wird sich die Zahl der Rentnerinnen und Rentner in der Schweiz von heute rund 1,5 Millionen auf gegen 3 Millionen verdoppelt haben. Der Bundesrat rechnet darum auch bereits per 2030 mit einer Finanzierungslücke allein in der AHV von fast 8 Milliarden Franken pro Jahr. Mit dem ständerätlichen Leistungsausbau droht der AHV per 2035 abermals eine Finanzierungslücke von 6 Milliarden Franken jährlich – dies trotz Finanzspritze von einem Mehrwertsteuer-Prozent und zusätzlichen 0,3 Lohnprozenten. Für diese unverantwortliche Ausbaupolitik geradestehen müssen erneut die Berufstätigen (die immer weniger werden!) sowie die Arbeitgeber. Der AHV-Ausbau verletzt damit nicht zuletzt auch die Fairness gegenüber der jüngeren Generation. Es erstaunt darum nicht, dass nun in der CVP ein offener Generationenstreit ausgebrochen ist. Das hätten die Architekten der ständerätlichen Lösung vorher erkennen müssen.

Der Schweizerische Arbeitgeberverband hat den Weg für eine mehrheitsfähige und systemkonforme Lösung zur Sicherung der heutigen Renten aufgezeigt. Zur Sicherung des bestehenden AHV-Rentenniveaus bis nach 2030 reichen die Angleichung des Rentenalters von Frau und Mann sowie 0,6 Mehrwertsteuer-Prozente. Erst danach würde das Referenzalter – im Einklang mit der demografischen Realität – schrittweise ansteigen. Die rote Linie überschritten hat der Ständerat nun definitiv mit seiner unzulässigen Durchmischung der beiden eigenständigen Systeme von erster und zweiter Säule. Der Nationalrat ist nun gefordert, diesen Fauxpas zu korrigieren. Zu hoffen bleibt, dass es infolge «unheiliger Allianzen» im Nationalrat nicht zu einem Scherbenhaufen kommt – wie schon so oft bei sozialpolitischen Reformen. Mit seinem Steilpass hat der Ständerat dieses Risiko allerdings massiv erhöht.

Der Gastkommentar von Roland A. Müller erschien in der Basler Zeitung.