«Die Früherkennung gesundheitlicher Probleme rechnet sich»

Karin Mahler, Leiterin Arbeitsmarktfähigkeit, Gesundheit und Soziales bei der SBB AG, ist mit ihrem Bereich dafür verantwortlich, die Leistungsfähigkeit der Mitarbeitenden zu erhalten und zu fördern. Sie bestätigt, dass sich die Früherkennung gesundheitlicher Probleme und im Bedarfsfall die enge Zusammenarbeit von Arbeitgebern, Versicherungen, Ärzten und öffentlicher Hand lohnen – nicht zuletzt finanziell. Ein staatlicher Zwang in Form von Integrationsquoten hingegen wäre weder notwendig noch sinnvoll.

Sie sind Leiterin Arbeitsmarktfähigkeit, Gesundheit und Soziales bei der SBB. Welches sind dabei Ihre Hauptaufgaben?
Ich verantworte zusammen mit meinen Teams das ganze Themenspektrum im Bereich «Corporate Health & Employability. Ziel ist es, die Leistungsfähigkeit der 33’000 Mitarbeitenden der SBB zu erhalten und zu fördern. Wir sind für die Prävention, Frühintervention und Reintegration zuständig. Sowohl aus sozialer Verantwortung wie auch aus betrieblichem Interesse ist es unsere oberste Priorität, die bestmögliche Lösung auszuarbeiten, wenn die Arbeitsmarktfähigkeit oder die Gesundheit von Arbeitnehmenden bedroht oder nicht mehr gegeben ist.

Weshalb ist die Früherkennung beziehungsweise der Erhalt der Arbeitsmarktfähigkeit so wichtig – sowohl für Arbeitnehmer als auch Arbeitgeber?
Wir verfügen über langjährige Daten und können daher belegen, dass durch Früherkennung, beispielsweise Präsenzmanagement, zwar viel mehr Fälle auf dem Radar und damit zu betreuen sind; die Anzahl der Mitarbeitenden mit sehr langen krankheitsbedingten Ausfällen von über einem Jahr bleibt aber stabil. Zudem verkürzt sich die durchschnittliche Falldauer stark – dies obwohl der Anteil der älteren Arbeitnehmenden bei der SBB stetig ansteigt. Früherkennung hat einen nachweisbaren positiven Effekt auf die Genesung der Mitarbeitenden sowie auf die Dauer der Fälle und ermöglicht auch eine frühere Rückkehr an den Arbeitsplatz. Oder anders gesagt: Früherkennung und Massnahmen zum Erhalt der Arbeitsmarktfähigkeit bedeuten zwar Aufwand, rechnen sich aber unter dem Strich für die SBB.

Wie können KMU – im Unterschied zu einem Grossbetrieb wie der SBB – die Leistungsfähigkeit ihrer Mitarbeitenden fördern?
Ein KMU kann genauso wie ein Grossunternehmen dafür sorgen, dass das Aufgabengebiet und die Kompetenzen des Mitarbeitenden möglichst übereinstimmen. Gut geführte Mitarbeitende, die vom Unternehmen gefördert und in schwierigen Phasen gestützt werden, sind meistens sehr loyal und engagiert.  Ein KMU verfügt allenfalls nicht über die Kompetenzen und Ressourcen, die Problemfälle innerhalb des Unternehmens zu bearbeiten. Hier sind die Führungskräfte aufgefordert, achtsam zu sein, zu erkennen, dass Handlungsbedarf besteht und sich dann professionelle Hilfe zu holen. Die IV-Stellen, Taggeldversicherer usw. helfen bei Fragen gerne weiter. Zudem stehen auch diverse Netzwerke und Plattformen wie zum Beispiel der Verein Compasso zur Verfügung (unter dem Patronat des Schweizerischen Arbeitgeberverbands, Anmerkung der Redaktion).

Was halten Sie von Integrationsquoten?
Davon halte ich persönlich nichts. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Zwang die Kreativität zerstört. Zudem haben sich viele Arbeitgeber in den letzten Jahren stark für dieses Thema engagiert und Netzwerke gebildet – wie beispielsweise Compasso. So konnten im letzten Jahr gemäss den IV-Stellen 20’000 Menschen mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen ihren Job behalten oder eine neue Anstellung finden. Die Integrationstätigkeiten der IV und der Arbeitgeber beweisen, dass es mindestens momentan keinen zusätzlichen Druck braucht.

Wie lassen sich die Rahmenbedingungen für den Arbeitsplatzerhalt und die Wiedereingliederung noch verbessern?
Aus meiner Sicht muss es die primäre Pflicht der Arbeitgeber sein, alle Möglichkeiten auszuschöpfen, um ihre Mitarbeitenden mit gesundheitlichen Einschränkungen im Unternehmen zu halten. Dies ist nicht nur aus menschlichen Gesichtspunkten sondern auch auswirtschaftlichen Überlegungen sinnvoller, als sie ins soziale Netz abzugeben, um sie dann wieder in einen Betrieb zu integrieren. Die IV ist auf dem richtigen Weg, wenn sie sich primär als «Reintegrationsförderin» und nicht als Rentenzahlerin versteht und Unterstützung für die Arbeitgeber zum Halten von Mitarbeitenden und zur Wiedereingliederung bietet.

Aus volkswirtschaftlicher Sicht muss geklärt werden, was zukünftig den Arbeitgebern auferlegt wird und wo die öffentliche Hand gefragt ist. Nicht alle Menschen mit gesundheitlichen Einschränkungen können in Unternehmen in sinnvoller Weise integriert werden. In sicherheitsrelevanten Tätigkeiten oder im Schichtbetrieb ist der Spielraum zur Integration sicher eingeschränkt. Ich bin überzeugt, dass sich die Rahmenbedingungen nur gemeinsam in Netzwerken verbessern lassen. Wichtig ist eine enge Zusammenarbeit zwischen Arbeitgebern, Versicherungen, Ärzten und öffentlicher Hand.