«Altersvorsorge 2020»: Augenmass bei den Arbeitskosten wahren

17. August 2016 Medienbeiträge

Bei der anstehenden Reform der Altersvorsorge droht ein Lohnkostenschub. Eine vernünftige Güterabwägung schliesst die Frage mit ein, inwiefern Unternehmen diese Zusatzlast überhaupt schultern sollen.

Wenn es um die Rente geht, wird es in Bundesbern bald viele rote Köpfe geben. Zeitgleich zum Abstimmungskampf zur Volksinitiative «AHV plus» kommt nun nämlich im Nationalrat die Debatte um die von Sozialminister Alain Berset aufgegleiste «Altersvorsorge 2020» in Gang. Je nachdem, wie das Volk am 25. September sich zum (nicht einmal ansatzweise finanzierten) Leistungsausbau der ersten Säule um happige 10% äussern wird, ist daran anschliessend mit einem anderen Verlauf der sozialpolitischen Debatte zu rechnen. Erste Meinungsumfragen zu «AHV plus» deuten an, dass die Linke mit ihrem Plan zum Ausbau der AHV alles andere als chancenlos ist.

Gegen halbbatzige Lösungen

In diesem Seilziehen um zukünftige AHV- und BVG-Renten drohen einige gesamtwirtschaftlich sehr wichtige Zusammenhänge verloren zu gehen. Es stellt sich schon die Frage, wie hoch der Kostenschub bei den Unternehmen infolge eines Leistungsausbaus der Sozialwerke ausfallen darf. Konkret steht der Erhalt von Arbeitsplätzen auf dem Spiel. Jüngst gelang es, die AHV-Bilanz dank einer starken Immigration in der Balance zu halten, doch können demografisch bedingte Ausgabensteigerungen so auf die Dauer nicht gestemmt werden. Alle Projektionen des Bundesamtes für Sozialversicherungen zeigen glaubwürdig auf, dass die AHV in wenigen Jahren wegen des Renteneintritts der «Baby-Boom»-Generation in eine Schieflage geraten wird.

Aber auch die zweite Säule ist dem demografischen Wandel stark ausgesetzt. Berechnungen des Schweizerischen Arbeitgeberverbandes (vgl. Tabelle) stimmen nachdenklich, wenn es um die absehbaren Mehrkosten bei der Umsetzung der «Altersvorsorge 2020» geht. Kann es sich die Schweiz wirklich leisten, im durch Frankenstärke gekennzeichneten Umfeld noch eine abrupte Verteuerung des Faktors Arbeit anzuordnen? Wie stark wird die Standortgunst in einer zunehmend von internationaler Mobilität der Unternehmen gezeichneten Situation darunter leiden? – Im Fallbeispiel des Arbeitgeberverbands für einen 46-jährigen Angestellten mit einem Jahreseinkommen von 72 000 Fr. würden die BVG-Lohnbeiträge – für Unternehmen sind das einfach Kosten – gegenüber dem Status quo zwischen 33% (Bundesrat-Vorschlag) und 15% (Ständerat) zunehmen. Berset zielt wenig überraschend auf den Leistungsausbau vor allem für niedrige Löhne, und er möchte die BVG-Altersgutschriften bei den mittleren Jahrgängen (45- bis 54-Jährige) stark ausbauen. In diesem Sinne fallen die Mehrkosten für ältere Mitarbeiter aus Sicht des Unternehmens in Zukunft weniger ins Gewicht. Das heisst aber nicht, dass für die Altersgruppe ab 60 Jahren kein Lohnkostenschub zu erwarten ist. Im Gegenteil: Für den 60-jährigen Herr Müller würde der BVG-Mehraufwand 11% (Bundesrat-Vorschlag) betragen, wogegen der modifizierte Antrag des Ständerats eine Verbilligung um gut 2% vorsehen würde. Economiesuisse und der Arbeitgeberverband favorisieren aber offenbar den ersten Vorschlag des Ständerats (siehe Tabelle), da die Entlastung bei den Lohnbeiträgen für ältere Mitarbeiter (ab 60 Jahre) mit einer entsprechenden Verteuerung für jüngere Kohorten erkauft werden müsste.

Die Hauptschwäche der Berset-Vorlage besteht darin, à tout prix das erreichte BVG-Leistungsniveau verteidigen und die überfällige Senkung des Rentenumwandlungssatzes mit diversen Massnahmen voll ausgleichen zu wollen. Dabei strebt man im gesetzlichen Bereich den Satz 6,0% (Altersgutschriften von 500 000 Fr. führen zu einer Jahresrente von 30 000 Fr.) an, was wegen der steigenden Lebenserwartung und der erwarteten Anlageerträge (Stichwort: Negativzinsen) viel zu hoch gegriffen ist.

Hierbei schwebt dem Bundesrat der Zugriff auf den BVG-Sicherheitsfonds vor, um für ältere Jahrgänge den Leistungsabbau abzufedern. Man spricht von einer «Übergangsgeneration», der unter die Arme gegriffen werden soll. Das ginge in die Milliarden und führte zur unerwünschten Umverteilung unter Pensionskassen; die starken sollen den schwachen helfen, und zwar auf Anordnung der Politik. Es mag zwar viele frustrieren, doch in Ergänzung zur Finanzierung einer Absenkung des Umwandlungssatzes von 6,8% auf 6,0% wird es bald noch ganz anderer Anstrengungen bedürfen. Ein versicherungsmathematisch korrekter BVG-Umwandlungssatz liegt näher bei 5% als bei 6%.

Flexibilisierung der Abgaben

Kurzsichtig und kontraproduktiv wäre es, zunächst ein starres AHV-Rücktrittsalter von 65 Jahren und eine unveränderte Leistungskraft der beiden Sozialwerke, AHV und BVG, festzuschreiben, um dann etwelche Lücken durch höhere Lohnbeiträge und die Mehrwertsteuer zu füllen. Eine derart technokratische Sichtweise wird den Realitäten, auch am Arbeitsmarkt, nicht gerecht.

Es ist niemandem, angehende Rentner inklusive, gedient, wenn infolge einer übermässigen Verteuerung des Faktors Arbeit die Konkurrenzfähigkeit der Schweizer Unternehmen über Gebühr geschwächt wird. Es führt daher kein Weg daran vorbei, entweder bescheidenere Vorsorgeziele zu setzen, individuell mehr zu sparen oder länger zu arbeiten. Hilfreich wären dazu Leistungsanreize für ältere Arbeitnehmer.

Dieser Artikel ist in der NZZ erschienen.