Tiefe Spuren der Corona-Krise in der Schweizer Wirtschaft

16. Juni 2020 News

Der Nebel lichtet sich allmählich und die vollen Auswirkungen der Corona-Krise auf die Schweizer Wirtschaft treten an den Tag. Obwohl das Alltagsleben nach den Aufhebungen einiger Schutzmassnahmen wieder seinen Lauf zu nehmen scheint, bleibt die wirtschaftliche Situation angespannt und fragil.

Die Auswirkungen der Massnahmen zur Eindämmung des Corona-Virus manifestieren sich zunehmend in den Wirtschafts- und Arbeitsmarktzahlen. Mit der allmählichen Rückkehr zur Normalität wagen auch die hiesigen Auguren konkretere Prognosen. Während die Konjunkturforschungsstelle der ETH (KOF) für dieses Jahr einen Rückgang des Bruttoinlandprodukts (BIP) um 5,5 Prozent erwartet, schätzt das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) den Rückgang mit 6,2 Prozent noch etwas pessimistischer ein. Im Vergleich zur KOF prognostiziert das Seco aber nicht nur einen stärkeren wirtschaftlichen Abschwung, sondern für 2021 auch einen schwächeren Aufschwung: Während es dabei von einem BIP-Wachstum von 4,9 Prozent ausgeht, wird dieses von der KOF auf 5,4 Prozent geschätzt, ausgehend von einem Wertschöpfungsverlust der Corona-Krise von 70 Milliarden Franken. Mit diesen Aussichten dürften sich auch die Konsum- und Investitionsausgaben nur sehr zögerlich erholen.

Die Erholung auf dem Arbeitsmarkt hinkt der wirtschaftlichen Entwicklung hinterher, wobei mit einer Kehrtwende zu sinkenden Arbeitslosenzahlen in diesem und dem nächsten Jahr kaum zu rechnen ist. Gemäss Seco und KOF dürfte die Arbeitslosenrate für 2020 bei 3,8 Prozent verharren. Für 2021 sieht das Seco einen Anstieg auf 4,1 Prozent und die KOF sogar auf 4,3 Prozent vor. Diese hohen und steigenden Arbeitslosenquoten hängen einerseits mit der verzögerten Reaktion des Arbeitsmarktes auf wirtschaftliche Entwicklungen und andererseits mit der hohen Zahl von Arbeitskräften in Kurzarbeit zusammen. Solange die Betriebe Arbeitskräfte in Kurzarbeit beschäftigen, werden sie auch in wirtschaftlich besseren Zeiten ihr Personal zuerst aus der Kurzarbeit zurück an die Arbeit holen und Neuanstellungen wohl erst danach in Betracht ziehen. Es werden somit nicht nur mehr Personen arbeitslos, sondern es werden auch kaum neue eingestellt.

Interessant ist ein Blick auf die von der Corona-Krise am stärksten betroffenen Branchen. Dabei ist vor allem die Gastronomie, die während gut zwei Monaten ihre Betriebe praktisch vollständig herunterfahren musste, stark betroffen. Es ist deshalb nicht weiter erstaunlich, dass ein Viertel der Betriebe akut von Konkurs bedroht ist und rund 90 Prozent der Restaurationsbetriebe Verluste schreiben. Auch in der Hotellerie, die ihre Betriebe theoretisch hätte aufrechterhalten können, brachen die Buchungen im April im Vergleich zum Vorjahr um 92 Prozent ein, wobei vor allem in Städten das Geschäft praktisch gänzlich zum Erliegen kam. Im Detailhandel blieb der Non-Food-Bereich bis zur Lockerung der Massnahmen während praktisch zwei Monaten geschlossen. Bis Ende Jahr wird dort mit einem Umsatzrückgang von gegen 20 Prozent gerechnet. Dieser wird sich auch nicht durch die guten Umsatzzahlen im Food-Bereich kompensieren lassen. Die Branche rechnet für 2020 im Vergleich zum Vorjahr mit einem Umsatzrückgang von 8.6 Milliarden Franken. Bedingt durch Verzögerungen für Bewilligungen und Ein- respektive Rückstellungen von Aufträgen gerät inzwischen auch die Bauwirtschaft zunehmend ins Strudeln. Für den kommenden Herbst wird deshalb mit Konkursen und Stellenverlusten auch in dieser Branche gerechnet. Diese grossen Herausforderungen der Branchen im Binnensektor wirken sich auch stark auf die Personaldienstleister aus, bei denen die Anzahl Temporärangestellter um mehr als 50 Prozent zurückging.

Obwohl von dieser Krise vornehmlich Betriebe der Binnensektoren betroffen sind, wirkt sich auch für die stark exportorientierten Industriebetriebe der Nachfragerückgang in deren Absatzmärkten nachteilig auf die Umsatzzahlen aus. Zu hoffen ist deshalb, dass auch die wichtigsten Absatzländer der Schweiz mit gezielten Massnahmen wieder Tritt fassen. Die deutsche Regierung hat dabei mit einem Maßnahmenpaket zur Ankurbelung der Wirtschaft im Umfang von 130 Milliarden Euro für die Jahre 2020 und 2021 bereits vorgespurt.

Während in vielen Bereichen wieder die Normalität Einzug hält, bleibt die wirtschaftliche Situation dennoch äusserst angespannt und fragil. Der Weg zurück wird steinig und wir müssen uns auf eine sich weiter eintrübende Wirtschaftslage einstellen, bevor es allmählich wieder aufwärts geht. Hoffnungsvoll stimmt dagegen, dass sich noch weit negativere Szenarien vieler Wirtschaftsinstitute bisher nicht realisiert haben und es gute Anzeichen gibt, dass die Schweiz diesen nie dagewesenen Stresstest im internationalen Vergleich bisher überdurchschnittlich gut gemeistert hat.