Eine verlorene Generation im BVG?

31. Mai 2022 Meinungen

Seit einiger Zeit macht eine neue Behauptung in der Altersvorsorge die Runde: Die «Babyboomer»-Generation werde zur «Loser»-Generation in der zweiten Säule. Während formal nur ein etwas despektierlicher Anglizismus durch einen anderen ersetzt wird, steckt inhaltlich mehr dahinter. Grund genug, genauer hinzuschauen.

Schöner als John Rawls könnte man es nicht bezeichnen: «Schleier des Nichtwissens» nannte er die Tatsache, dass man Gerechtigkeit zwischen Generationen immer erst dann messen kann, wenn es eigentlich zu spät ist. Will man also wissen, ob eine bestimmte Generation finanziell von ihren Eltern oder zu Lasten ihrer Kinder profitiert, beziehungsweise verloren hat, lässt sich das erst zum Zeitpunkt des Todes feststellen. «Abgerechnet wird am Schluss», würde der Volksmund wohl dazu sagen.

Gleiches gilt für die aktuelle Debatte, die in der Schweizer Altersvorsorge geführt wird. Mit der Trendumkehr an der Zinsfront und der anziehenden Inflation ist allenthalben von einer verlorenen Generation in der zweiten Säule zu lesen. Gemeint sind die Jahrgänge, die aktuell zwischen rund 55 und 70 Jahren alt sind. Sie mussten bei den Umwandlungssätzen im Überobligatorium teilweise schmerzhafte Kürzungen hinnehmen und gleichzeitig die Umverteilung zu Gunsten der Rentnerinnen und Rentner mitfinanzieren. Letzteres geschah durch eine reduzierte Verzinsung der Sparkapitalien, sodass die Leistungen im Alter gleich in mehrfacher Hinsicht tiefer ausfallen.

Die schlechte Nachricht vorweg: Ganz von der Hand weisen lässt sich der Effekt tatsächlich nicht. Mit dem Beginn der Tiefzinsphase nach der Finanzkrise standen Schweizer Vorsorgeeinrichtungen vor der Herausforderung, dass sie die Deckungskapitalien für versprochene Renten massiv verstärken mussten, da das angelegte Kapital auf lange Frist tiefer rentieren würde – bei gleichzeitig längerer Lebenserwartung. Die Finanzierung dieser Verstärkung erfolgte schwergewichtig über Renditen, die auf bestehenden Obligationen-Portfolios und durch die Asset-Inflation bei den Aktien und Immobilien verzeichnet werden konnten. Gleichzeitig galt es, die zukünftigen Leistungsversprechen an die neuen Realitäten anzupassen und damit zu reduzieren. Im dümmsten Fall wurde also jemand mit einem tieferen Umwandlungssatz pensioniert und profitierte zudem unmittelbar davor nicht von einer guten Verzinsung der Sparkapitalien.

Wie bei vielen Begriffen, die plötzlich inflationär verwendet werden, darf aber auch an dieser Stelle der Blick für das grosse Ganze nicht vergessen gehen. Erstens hat die genannte Generation von einem nie zu erwartenden wirtschaftlichen Aufschwung nach der Finanzkrise bei gleichzeitigem Ausbleiben der Inflation profitiert – ältere Rentnerinnen und Rentner hatten zwar immer ihre Rente garantiert, aber nur nominal. Zweitens wurden die Anpassungen der Leistungsparameter in den allermeisten Fällen auch dazu genutzt, den Sparprozess in der Vorsorge zu stärken und somit mehr Kapital anzuhäufen. Wenn also die Trendwende an der Zinsfront tatsächlich anhält, profitieren die angesprochenen Generationen auch verstärkt davon. Und drittens darf eben nicht vergessen gehen, was der eingangs erwähnte John Rawls so schön auszudrücken vermochte: Ob die heutigen Profiteure -respektive Verlierer – auch langfristig zu diesen Kategorien gehören, weiss man erst nachträglich. Nötig sind damit keine Kurzschlussreaktionen oder Zuschüsse nach Giesskannen-Mentalität, sondern eine langfristig stabile Altersvorsorge, die Lasten gerecht verteilt.