«Wir müssen die Praxisnähe unbedingt erhalten»

20. Dezember 2016 5 Fragen an...

Berufsschullehrpersonen und Berufsbildungsverantwortliche ausbilden, Berufe weiterentwickeln, Trends analysieren und die Berufsbildung im Ausland fördern: Breit ist das Tätigkeitsfeld des Eidgenössischen Hochschulinstituts für Berufsbildung. Dessen Präsident, Philippe Gnaegi, betont im Gespräch die starke Ausrichtung des Instituts an der Praxis der Berufsbildung und plädiert für einen noch intensiveren Austausch mit den Arbeitgebern.

Kürzlich hat der Bundesrat die strategischen Ziele des Eidgenössischen Hochschulinstituts für Berufsbildung (EHB) bis 2020 festgelegt. Welche zentralen Herausforderungen leiten Sie daraus für die nächsten vier Jahre ab?
Ein zentrales Anliegen ist die verstärkte Zusammenarbeit mit den Kantonen. Die kantonalen pädagogischen Hochschulen bilden, vor allem in der Deutschschweiz, zunehmend auch Berufsschullehrpersonen aus. In diesem Ausbildungsbereich wollen wir eine Konkurrenzsituation zwischen unseren und den kantonalen Lehrgängen vermeiden. Ausserdem streben wir die Akkreditierung als Hochschule an: Das neue Hochschulförderungs- und Koordinationsgesetz des Bundes fordert die institutionelle Akkreditierung aller schweizerischen Hochschulen und anderen Institutionen des Hochschulbereichs bis 2022. Dadurch werden wir die Perspektive der Berufsbildung in der Hochschullandschaft besser einbringen und die Stossrichtungen von hochschulpolitischen Entscheidungen mitprägen können. Das wiederum stärkt die Berufsbildung und deren Anerkennung als äquivalenten Bildungsweg neben der akademischen Bildung. Gleichwohl unterscheidet sich das EHB von anderen Hochschulen, vor allem durch den sehr engen Bezug unserer Tätigkeiten zur Praxis, also zu den Unternehmen und ihren Bedürfnissen. Diese Besonderheit müssen wir unbedingt behalten.

Was ist genau der Beitrag des EHB zur Weiterentwicklung der Berufsbildung – wie es in den strategischen Zielen allgemein heisst?
Schweizweit durchlaufen 70 Prozent der Jugendlichen eine Berufsbildung. Dank unserem Bildungssystem mit der Berufsbildung auf der einen und allgemeinbildenden Schulen auf der anderen Seite können wir die Kompetenzen der Jugendlichen – ob praktisch oder akademisch – besser nutzen und fördern als jene Länder, die einzig den allgemeinbildenden Weg kennen. Das internationale Interesse an der Berufsbildung erstaunt darum nicht. Indem wir unser System im Ausland erklären, leisten wir dort einen Beitrag zur Weiterentwicklung. In der Schweiz hingegen ist das Image der Berufsbildung trotz ihrer hohen Bedeutung nach wie vor verbesserungswürdig. Hier kommt das EHB ins Spiel: Mit seinen verschiedenen Aktivitäten und Dienstleistungen stärkt es die Präsenz der Berufsbildung in der Öffentlichkeit – analog zu den ETH im akademischen Bereich. Wir müssen aber noch vermehrt die Vorteile der Berufsbildung aufzeigen, etwa mit wissenschaftlich belegten Zahlen und Fakten.

Apropos Wissenschaft: Das neu geschaffene Observatorium für die Berufsbildung des EHB erforscht aktuelle Entwicklungen und analysiert ihre Bedeutung für die Berufsbildung. Welche Trends machen Sie derzeit aus?
Zurzeit untersuchen wir gerade, wie sich die Digitalisierung auf die Berufsbildung auswirkt. Sie soll gefördert werden, weil sie für den Unterricht verschiedene Vorteile bringt. So können etwa Lernende dank digitaler Technologien auch während eines Auslandjahres am Berufsschulunterricht in der Schweiz teilnehmen. Ein weiterer Forschungsgegenstand sind Lehrvertragsauflösungen – das erste Thema überhaupt, zu dem das Observatorium eine Studie präsentiert hat. Aus Arbeitgebersicht spannend sind darüber hinaus unsere Kosten-Nutzen-Analysen, die zeigen, inwiefern sich die Lehrlingsausbildung für die Betriebe lohnt. Mit Untersuchungen dieser Art können wir die in der Berufsbildung aktiven Branchen und Unternehmen auf aktuelle Trends vorbereiten und ihnen Lösungen vorschlagen.

Welche Dienstleistungen bietet das Zentrum für Berufsentwicklung des EHB den Branchenverbänden – darunter viele Mitglieder des Schweizerischen Arbeitgeberverbands – in ihrer Funktion als Träger der Berufsbildung an?
Das Zentrum für Berufsentwicklung unterstützt sie methodisch wie pädagogisch in allen Etappen der Entwicklung der beruflichen Grundbildung und der höheren Berufsbildung. Konkret heisst dies etwa, die Schlüsselkompetenzen eines Berufs zu identifizieren, die Erarbeitung des Bildungsplans zu begleiten und schliesslich die Verbundpartner bei der Umsetzung der Bildungserlässe in den drei Lernorten zu unterstützen. Ein Beispiel: Wir haben den Verband scienceindustries bei der Totalrevision des Berufs Chemie- und Pharmatechnologe EFZ begleitet. In diesem Prozess hat das Zentrum für Berufsentwicklung mit seinem engen Bezug zur Praxis dazu beigetragen, dass die erneuerte Ausbildung den Bedürfnissen des Arbeitsmarkts gerecht wird.

Was ist Ihre wichtigste Botschaft an die Adresse der Arbeitgeber, um die Berufsbildung in der Schweiz weiter zu verbessern?
Ich möchte vorausschicken, dass wir gute Kontakte zu den Arbeitgebern pflegen. Sie sind für uns nicht zuletzt aufgrund ihrer grossen Erfahrung mit der Berufsbildung ein sehr wichtiger Partner. Das EHB arbeitet eng mit den Organisationen der Arbeitswelt zusammen. Wir gestalten gemeinsam die Zukunft der Berufsbildung im Hinblick auf das übergeordnete Ziel einer prosperierenden Schweiz. Auf der einen Seite gehören Dienstleistungen für Arbeitgeber zu unserem Kerngeschäft. Auf der anderen Seite werden auch wir von ihnen unterstützt. So sind die Arbeitgeber beispielsweise in unseren Gremien vertreten und tragen unseren «Enterprize» mit – eine Auszeichnung für Projekte und Persönlichkeiten, die für besonderen Unternehmergeist in der Berufsbildung stehen. Um die Berufsbildung weiter zu stärken und ihr Image zu verbessern, wünschte ich mir aber künftig einen noch intensiveren Austausch.