Grosser Handlungsbedarf trotz Flexibilität von Arbeitnehmern mit Betreuungsaufgaben

19. November 2020 News

Das Bundesamt für Statistik lässt die Schweiz hinsichtlich der Flexibilität von Arbeitnehmern mit Betreuungsaufgaben im Vergleich mit den EU-28-/Efta-Staaten in einem guten Licht erscheinen. Dennoch reduzieren in der Schweiz viele Frauen ihre Arbeitspensen als Folge von Betreuungsaufgaben. Für den Schweizerischen Arbeitgeberverband ist klar: Dies hängt grösstenteils mit dem ungenügenden Ausbau von Drittbetreuungsangeboten im Vorschul- und Schulbereich zusammen. Diesbezüglich sehen die Arbeitgeber den Staat in der Pflicht.

Laut Publikation des Bundesamts für Statistik (BFS) können in der Schweiz 70 Prozent der Arbeitnehmer Anfang und Ende der Arbeitszeit aus familiären Gründen kurzfristig verschieben und 53 Prozent können ganze Tage frei nehmen, ohne dafür Ferientage beziehen zu müssen. Schweizweit hat mehr als ein Drittel aller Erwerbstätigen eine Betreuungsaufgabe. Insgesamt sind 96 Prozent aller betreuenden Personen auf dem Arbeitsmarkt aktiv, jedoch mit teilweise tiefen Arbeitspensen.

Ein Vergleich der hiesigen Arbeitnehmer mit jenen in EU-28-/Efta-Staaten und in den Nachbarländern der Schweiz zeigt, dass Arbeitnehmer im Schweizer Arbeitsmarkt überdurchschnittlich flexibel sind. So können in Österreich 49 Prozent, in Deutschland 38 Prozent, in Italien 35 Prozent und in Frankreich nur 32 Prozent der Arbeitnehmer Anfang und Ende der Arbeitszeit aus familiären Gründen kurzfristig verschieben. Auch bei der Möglichkeit, freie Tage ausserhalb des Ferienpensums zu beziehen, fallen die Nachbarländer hinter die Schweiz zurück.

Auffällig und unschön ist jedoch auch, dass Frauen in Österreich und der Schweiz im Vergleich zu Frauen in EU-28-/Efta-Ländern am häufigsten angeben, dass sie die Arbeitszeit als Folge der Kinderbetreuungspflichten reduzieren müssen. Dies zeigen auch die Zahlen zur Teilzeitbeschäftigung von Müttern mit Kindern unter 15 Jahren im Schweizer Arbeitsmarkt eindrücklich. So arbeiten acht von zehn Müttern Teilzeit und vier davon in einem Arbeitspensum unter 50 Prozent. Eine wesentliche Rolle bei der tiefen Arbeitsmarktbeteiligung in der Schweiz spielen die ungenügenden Kinderbetreuungsangebote.

Die Erkenntnisse zur Betreuungssituation in der Schweiz zeigen, dass sich die Zahl der Angebote im Vorschulbereich in den letzten Jahren auch dank Finanzhilfen und Anschubfinanzierungen des Bundes erhöht hat. Nach wie vor unterscheiden sich jedoch die Rahmenbedingungen je nach Kanton oder sogar je Gemeinde stark. Den Arbeitgebern sind zudem die hohen Kosten der Betreuungsangebote ein Dorn im Auge: denn sie führen in vielen Fällen dazu, dass sich Mütter aus dem Arbeitsmarkt zurückziehen oder sich nur in tiefen Pensen daran beteiligen. Bisher noch wenig verbreitet sind zudem Tagesschulangebote für Kinder im Schulalter. Solche Angebote kennt man bisher hauptsächlich aus Städten, wo sie sich  – wie zum Beispiel in Zürich – bereits gut etablieren konnten.

Der Schweizerische Arbeitgeberverband (SAV) hat das Problem der ungenügenden Drittbetreuungsangebote früh erkannt und führt zu diesem Thema die parteiübergreifende Allianz «familienergänzende Betreuung». Mit am Tisch sind zudem Vertreterinnen der beiden kantonalen Konferenzen der Erziehungs- (EDK) und der Sozialdirektorinnen und -direktoren (SODK). Die Schirmherrschaft über die Allianz hat Bundesrätin Karin Keller-Sutter. Ziel der Allianz ist es, den Ausbau von qualitativ guten und finanzierbaren Drittbetreuungsangeboten voranzutreiben, um das grosse Potenzial an bereits heute überdurchschnittlich gut qualifizierten Müttern im Arbeitsmarkt besser auszuschöpfen.

Die Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf kann indes nur gelingen, wenn Staat, Arbeitgeber sowie Eltern ihren Pflichten nachkommen. Wie die Publikation des BFS zeigt, stehen die Schweizer Arbeitgeber bezüglich Flexibilität von Arbeitnehmern mit Betreuungspflichten international betrachtet gut da. Auch zukünftig werden sie bestrebt sein, die Arbeitsbedingungen abhängig von ihren betrieblichen Möglichkeiten familienfreundlich zu gestalten. Der grösste Handlungsbedarf besteht jedoch beim Ausbau von qualitativ guten und finanziell attraktiven Kinderdrittbetreuungsangeboten. Diesbezüglich sieht der SAV klar den Staat in der Verantwortung. Und nicht zuletzt sind es auch die Eltern, die sich bei der Aufteilung der Betreuungspflichten so organisieren müssen, dass nicht die gesamte Betreuungsaufgabe den Müttern zukommt.