«Nichtstun wäre verantwortungslos»

12. März 2020 Medienbeiträge

Das gibt es selten: Der Arbeitgeberverband fordert zusammen mit den Gewerkschaften höhere Lohnabzüge, um Löcher in der Rente zu stopfen. Teilverbände scheren aus, doch Arbeitgeber-Direktor Roland Müller verteidigt die Reform durch alle Böden.

Roland A. Müller im Blick TV

Bild: Arbeitgeber-Direktor Roland A. Müller im «Blick TV».

In linken Kreisen galt er als Hardliner: Arbeitgeber-Direktor Roland Müller (57) ist ein Mann, der finanzielle Disziplin und Eigenverantwortung hochhält. Umso grösser war die Überraschung, als Müller und Arbeitgeber-Präsident Valentin Vogt (59) im letzten Sommer in einen Deal mit den Gewerkschaften zur Reform der zweiten Säule einschlugen. Deren Kernstück sind höhere Renten, die mit zusätzlichen Lohnprozenten finanziert werden.

Hat sich der Arbeitgeberverband von den Gewerkschaften bei den Verhandlungen über den Tisch ziehen lassen?
Davon kann keine Rede sein. Beide Seiten mussten Kompromisse eingehen. Die Gewerkschaften wollten nicht die zweite Säule stärken, sondern die AHV ausbauen. Wir konnten sie von einer Lösung überzeugen, welche die zweite Säule nachhaltig stabilisiert und die Umverteilung von Erwerbstätigen zu Rentnern reduziert. Wir senken den Umwandlungssatz in einem Schritt von 6,8 auf 6 Prozent. Zusätzlich zahlen künftig schon Jüngere in die zweite Säule ein. Das brauchte viel Überzeugungsarbeit. Aber natürlich mussten auch wir über unseren Schatten springen.

Bei der Finanzierung des Rentenausgleichs mussten Sie eine Kröte schlucken: Ein Lohnabzug von 0,5 Prozent soll den ersten 15 Jahrgängen einen monatlichen Rentenzustupf von 200 bis 100 Franken finanzieren.
Der Bundesrat machte eine klare Vorgabe an die Reform: Die Höhe des Rentenniveaus soll erhalten bleiben. Dafür braucht es diese solidarische Finanzierung von Arbeitgebern und Arbeitnehmern.

Es fliesst wie bei der AHV direkt Geld von den Aktiven zu den Rentnern. Das ist eine Vermischung von erster und zweiter Säule.
Das stimmt so nicht. Die ganze Reform bleibt innerhalb der zweiten Säule und ist völlig unabhängig von der AHV. Das zeigt sich unter anderem darin, dass der Lohnabzug nur bis zum maximal versicherbaren BV-Lohn erhoben wird. Die AHV wird auf dem ganzen Lohn erhoben. Übrigens hätte das BVG im Jahr 1985 ohne zweckgebundene Umlagekomponente gar nicht eingeführt werden können: Die Renten der Eintrittsgeneration wurden solidarisch finanziert.

Den Rentenzustupf erhalten auch jene, die ihn nicht brauchen. Sie verteilen mit der Giesskanne.
Grossverdiener nehmen meist nicht die Rente, sondern das Kapital. Es ist sehr unwahrscheinlich, dass Einkommensmillionäre vom Ausgleich profitieren. Umgekehrt ist es ein Gebot der Gerechtigkeit, dass, wenn alle zahlen, auch alle in den Genuss der Leistungen kommen. Das ist bei jeder Versicherung so. Wenn man gewisse Gruppen ausschliesst, hätte das völlig zu Recht zu Widerstand geführt.

Der Pensionskassenverband sowie die Arbeitgeber Bau, Banken und Detailhandel behaupten, man könne die Rentenausfälle durch bereits vorhandene Rückstellungen der Kassen finanzieren. Das tönt charmant.
Sehr charmant sogar, das Problem ist aber, dass nicht alle Kassen diese Rückstellungen gebildet haben. Die Finanzierung ist also nicht gesichert. Zudem würde der Ausgleich die Ausfälle nicht kompensieren. Nur unsere Reform erfüllt die Vorgabe, das Rentenniveau zu halten.

Der Umwandlungssatz ist auch nach der Senkung auf 6 Prozent noch immer zu hoch. Nichtstun sei besser als Ihre Reform, sagen viele Kritiker.
Das ist reine Polemik. Unser Modell schafft einen Mechanismus, um die stossende Umverteilung in der zweiten Säule in den Griff zu bekommen. Wir reduzieren sie sofort. Und wir schaffen die Möglichkeit, in 15 Jahren weitere Schritte zu ergreifen. Wenn wir nichts tun, wird die Umverteilung schon in zwei Jahren auf über 100 Milliarden Franken angewachsen sein. Damit gerät die Stabilität des Gesamtsystems in Gefahr. Das ist verantwortungslos.

Die Rentenreform 2020 scheiterte unter anderem deshalb, weil das Volk den 70-Franken-Zuschlag in der AHV nicht wollte. Auch Sie waren strikte dagegen. Nun stützen Sie einen 200-Franken-Zuschlag.
Nochmals: Die AHV ist bei unserem Vorschlag nicht betroffen, der Ausgleich erfolgt über die Pensionskassen. Ein weiterer Unterschied ist die Finanzierung: Die 70 Franken hätten wegen des Rentneranstiegs schon nach fünf Jahren zu Milliardenlöchern in der AHV geführt. Unsere Lösung ist hingegen sauber kalkuliert, und die Ausgaben für den Zuschlag sind bei 0,5 Prozent gedeckelt. Das finanzielle Fundament ist also solid. Wir werden keine bösen Überraschungen erleben.

Der Widerstand gegen Ihren Vorschlag ist enorm, Teilverbände der Arbeitgeber, Gewerbeverband, Pensionskassenverband und bürgerliche Politiker gehen auf Distanz. Glauben Sie noch an den Erfolg?
Auf jeden Fall. Wir müssen ja nicht nur im Parlament eine Mehrheit finden, sondern aller Voraussicht nach auch in einer Volksabstimmung. Es war absehbar, dass unser Kompromiss bei Verbänden und im Parlament auf Kritik stossen wird. Diese argumentieren aber immer nur aus ihrer eigenen Perspektive. Unser Vorschlag hat den grossen Vorteil, dass die Sozialpartner dahinterstehen, also jene, welche das System mit ihren Beiträgen finanzieren. Die Vergangenheit zeigt, dass Reformen der Sozialversicherungen nur dann eine Chance haben, wenn sie von den Sozialpartnern getragen werden. Deshalb bin ich noch immer zuversichtlich.

Dieses Interview erschien im «Blick».

Unter dem Titel «Die Reform hilft auch dem Mittelstand» erschien der Kommentar zum Sozialpartnerkompromiss auf «Blick».