«Für die Mehrheit der Jugendlichen gibt es eine Funktion, in die sie hineinpassen würden»

5. November 2021 5 Fragen an...

In einer immer komplexeren und volatileren Welt ist es wichtig, den Austausch zwischen Wirtschaft und Armee zu fördern und den gegenseitigen Mehrwert zu nutzen. Anhand seiner bisherigen Erfahrungen erklärt der Offiziersschüler Alejandro Grifone seine Beweggründe für die Armeeausbildung und seine Erwartungen an einen Arbeitgeber.

Sie haben die Halbzeit ihrer Ausbildung zum Leutnant erreicht. Was war Ihr bisher prägendstes Erlebnis in der Armee?

Zu Beginn der Offiziersschule wurden wir Aspiranten auf eine dreitägige Übung geschickt, die sogenannte Partenza. Die Übung beinhaltete eine 80 Kilometer weite Verschiebung mit dem Fahrrad, einen 25 Kilometer-Marsch, ein zweistündiges Schwimmtraining und schriftliche Prüfungen. Wir mussten dabei unsere Führungsfähigkeiten unter erschwerten Bedingungen beweisen. Nach der ersten Etappe der Fahrradverschiebung mussten wir eigenständig unser Lager einrichten, unser Essen kochen und die ganze Platzorganisation planen, alles um 10 Uhr abends. Um diese Aufträge noch vor der Schlafenszeit zu erfüllen, musste straff geführt werden. Ich habe durch diese Erfahrung erkannt, dass der Körper zu viel mehr fähig ist als man eigentlich denkt. Die mentale Stärke entscheidet darüber, ob man nach einer solch langen Fahrradfahrt noch die Kraft für einen Marsch aufbringt. Sie ist die wichtigste Eigenschaft, um die Offiziersschule zu absolvieren.

Ist die Offiziersschule eher eine «Lebensschule» oder eine Führungsausbildung zur beruflichen Weiterentwicklung?

Die Offiziersschule beinhaltet sicherlich beides. Man erlernt nicht nur neue Themen der militärischen Ausbildung, sondern auch Neues über sich selbst. Man erkennt die eigenen Stärken, aber auch seine Schwächen. Man macht Fehler und das ist gut so, weil man aus ihnen lernt Indem man die Fehler analysiert und es beim nächsten Mal besser macht. Auf der anderen Seite lernt man auch Situationen kennen, in denen man sich keine Fehler erlauben darf, und bereitet sich auf solche Momente vor. Aus meiner Sicht sind dies Erkenntnisse, die einen im Leben weiterbringen und helfen, eine positive Einstellung zu haben. Entweder ich mache etwas bereits gut oder ich lerne, wie ich es gut machen kann. Die Führungsausbildung gehört natürlich auch dazu. Die Führungsmethoden wenden wir in der Praxis unter erschwerten Bedingungen an. Man trifft schwere Entscheidungen, die man vielleicht im Nachhinein anders gefällt hätte. Durch das tägliche Üben sammeln wir enorm viele Erfahrungen, die uns später im zivilen Beruf weiterhelfen können – zum Beispiel um unter Zeitdruck effektive und gute Lösungen zu finden.

Was können Sie einem Arbeitgeber bieten, das Gleichaltrigen ohne militärische (Führungs-)Ausbildung fehlt?

Im Militär lernen wir mit Varianten zu arbeiten. Man bekommt ein Problem vorgelegt, welches man so schnell, aber auch so effizient wie möglich lösen muss. Wir überlegen uns möglichen Wege, um dieses Problem zu lösen und entwickeln mindestens drei Varianten. Einem Arbeitgeber können wir also diese verschiedenen Lösungsansätze präsentieren und gleichzeitig unseren bevorzugten Ansatz vorschlagen. Er entscheidet, welche Variante er umsetzen möchte. Anhand verschiedener Kriterien wägen wir Vor- und Nachteile für jede Variante gegeneinander ab und verstehen dadurch, warum sich unser Arbeitgeber für seine Wahl entschieden hat. Dadurch, dass wir uns täglich im Führen üben können, haben wir einen riesigen Vorteil zu Gleichaltrigen, die keinen Militärdienst geleistet haben. Wir haben praktische Erfahrung, und zwar auch in Situationen, die alles andere als angenehm sind. Nur Militärdienstleistende wissen wohl was es heisst, um vier Uhr morgens bei minus Temperaturen und Schneefall 40 Unterstellte zu führen.

Was erwarten Sie persönlich von einem Arbeitgeber, damit Sie in Zukunft ihre Aufgaben in der Armee vollumfänglich wahrnehmen können?

Ich erwarte Verständnis für viele Monate harter Arbeit mit vielen Verzichten. Mir ist bewusst, dass es für viele Arbeitgeber umständlich ist, wenn sie aufgrund der Wiederholungskurse (WK) jedes Jahr für vier Wochen auf einen Mitarbeitenden verzichten müssen. Der Mehrgewinn lohnt sich jedoch auch für den Arbeitgeber. Ich erwarte auch Offenheit von Seiten des Arbeitgebers. Ich finde es nur richtig, wenn man uns die Chance gibt zu erklären, was wir im Militär geleistet haben und welches die Vorteile für die Arbeitgeber sein können. Durch ihr Interesse schätzen und respektieren die Arbeitgeber unseren Einsatz für Sicherheit in der Schweiz.

Welchen Stellenwert hat die Armee bei Ihrer Generation? Wie kann die Armee die Jungen am besten erreichen und überzeugen?

Der Stellenwert der Armee ist in den letzten dreissig Jahren gesunken und das merkt man in meiner Generation. Viele Jugendliche haben Vorurteile wegen gehörter Geschichten und sie haben ein falsches Bild der heutigen Armee. Verstehen Sie mich nicht falsch: Es gibt definitiv Dinge, die ärgerlich und mühsam sind, aber in welchem Beruf gibt es sie nicht? Es gibt jedoch auch Jugendliche, vermehrt auch Frauen, die den Militärdienst als Herausforderung wahrnehmen, um Neues zu lernen und über sich selbst hinauszuwachsen – aber auch als Beitrag zur Sicherheit unseres Landes, die nicht selbstverständlich ist. Jungen Menschen sollte ein Einblick in die Schweizer Armee gewährt werden, sei dies mittels Infoveranstaltungen oder Workshops. Das Bild eines Militärs mit Waffen, Panzern und Kampfflugzeugen ist ein unvollständiges. Es gibt eine riesige Auswahl an Funktionen, vom Truppenkoch über die Büroordonnanz bis zu den Hundeführern. Ich behaupte, für die Mehrheit der Jugendlichen gibt es eine Funktion, in die sie hineinpassen würden. In dem die Armee diese Möglichkeiten noch besser aufzeigt, wie sie es beispielsweise bereits auf Social Media macht, kann sie meiner Meinung nach für Jugendliche attraktiv werden.

Steckbrief
Name: Alejandro Grifone
Alter: 21 Jahre
Ausbildung: Eidg. Maturität Kantonsschule Solothurn, Schwerpunktfach Biologie und Chemie, bilingual (Deutsch-Englisch)
Grad und Funktion: Wachtmeister, Rettungssoldat Durchdiener
Momentane Ausbildung: Offiziersschule G/Rttg L+K 74 in Bremgarten (Ausbildung zum Leutnant)