Steiniger Weg in eine neue Normalität

12. Mai 2020 Meinungen
Von Simon Wey

Die Massnahmen zur Eindämmung des Coronavirus sind nun seit bald zwei Monaten in Kraft und erfordern von uns allen ein hohes Mass an Disziplin und Durchhaltewillen. Inzwischen hat der Bundesrat einen Fahrplan zur schrittweisen Öffnung der Wirtschaft vorgelegt – kleine Schritte auf einem langen Weg zurück in eine vorerst neue Normalität. Jeder Öffnungsschritt birgt Risiken und über allem hängt stets das Damoklesschwert einer zweiten epidemiologischen Ansteckungswelle, die für Wirtschaft und Gesellschaft noch schwerwiegendere Folgen als die erste hätte.

Was bedeutet dieses schwierige Umfeld für die Situation in den Betrieben? Die sich bereits anfangs Jahr eintrübende konjunkturelle Lage wurde durch die Massnahmen zur Eindämmung des Coronavirus nochmals massiv verschlechtert. Das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) rechnet zurzeit mit einem Rückgang des Bruttoinlandprodukts von fast 7 Prozent für 2020. Auch die letzte Woche vom Seco veröffentlichten Arbeitsmarktzahlen zeigen die Herausforderungen vieler Betriebe vor dem Hintergrund der Corona-Krise. So sind bereits mehr als 1,9 Millionen Personen für Kurzarbeit angemeldet, was etwa 37 Prozent aller Beschäftigten entspricht. Von Ende Februar bis Ende April stieg die Zahl der arbeitslosen Personen um mehr als 35’000 an (+ 0,8 Prozentpunkte), während sie in den beiden Monaten des Vorjahres noch um mehr als 12’000 Personen zurückging (- 0,3 Prozentpunkte). Trotz der Wucht dieser Zahlen muss bedacht werden, dass der Anstieg der Arbeitslosen seit Beginn der Corona-Massnahmen ohne das Instrument der Kurzarbeit noch bedeutend stärker ausgefallen wäre. Und es gibt auch Lichtblicke: So stieg etwa die Zahl der Arbeitslosen von März bis April im Vergleich zu jenen von Februar bis März weniger stark an. Dieser Verlauf dürfte unter anderem das Verdienst einer klareren Kommunikation des Bundesrats zu den Öffnungsschritten und der damit einhergehenden höheren Planungssicherheit der Betriebe sein.

Weiter überrascht es nicht, dass diejenigen Betriebe überdurchschnittlich stark von der Arbeitslosigkeit betroffen sind, die als Folge der vom Bundesrat erlassenen Massnahmen ihre Aktivitäten ganz oder teilweise herunterfahren mussten. Dies trifft insbesondere auf Branchen des Tourismus und des Detailhandels zu. Vor allem der Non-Food-Bereich im Detailhandel ist durch die erzwungene Schliessung der letzten Monate in Schieflage geraten. Auch in der Industrie sind die Arbeitslosenzahlen in den letzten Monaten überdurchschnittlich stark angestiegen. Die bereits zu Beginn des Jahres  schwierige Lage hat sich dort durch die Corona-Krise weiter verschärft. Auch die Aktivität in der Baubranche ist eingebrochen, was zum einen auf Baustellenschliessungen und zum anderen auf den Rückgang und die Verzögerung von Aufträgen zurückzuführen ist.

Inzwischen haben viele der von Schliessungen oder Teilschliessungen betroffenen Betriebe unter Einhaltung der geltenden Schutzmassnahmen wieder geöffnet bzw. ihre Aktivitäten wieder hochgefahren. Dieser wichtige Schritt zur Normalität gibt vielen von ihnen eine Perspektive und vor allem Planungssicherheit. Die verhaltene Zuversicht und die absehbar verbesserte finanzielle Situation dürfte weiter dazu führen, dass sie ihr Personal zunehmend aus der Kurzarbeit zurück an die Arbeit holen und weniger dazu gezwungen sind, Arbeitskräfte zu entlassen. Der grosse Vorteil der Kurzarbeit wird gerade bei Wiedereröffnungen von Betrieben insofern evident, dass das Personal aus dem zwischenzeitlichen «Standby» praktisch per Knopfdruck wieder «reaktiviert» werden kann.

Auffallend ist, dass die bisherigen Öffnungsschritte praktisch ausschliesslich Branchen und Betriebe der Binnenwirtschaft betreffen. Die Industrie, wo die Betriebe oft stark exportorientiert sind, fand mit ihren Anliegen beim Bundesrat lange kaum Gehör. Inzwischen hat Bundesrätin Karin Keller-Sutter mit der Öffnung der Grenzen für wichtige Geschäftsreisen einem der Hauptanliegen der Branche entsprochen. Somit können zum Beispiel Monteure wieder Service- und Reparaturarbeiten beim Kunden durchführen. Ebenso ermöglicht diese Öffnungsmassnahme eine Einreise für ausländische Kunden, um Produkte bei hiesigen Produzenten vor Ort inspizieren, austesten und schliesslich erwerben zu können.

Trotz dieser ersten Öffnungsschritte bleiben grosse Herausforderungen und Unsicherheiten bestehen. Zum einen führen die Schutzkonzepte bei Dienstleistungen mit Kundenkontakt dazu, dass die Betriebe nur einen kleinen Teil ihres üblichen Umsatzes generieren können, und zum anderen ist nicht klar, wieweit die Kunden unter diesen Bedingungen überhaupt schon wieder in Konsumlaune sind.

Der Schweizerische Arbeitgeberverband begrüsst den inzwischen klar definierten Fahrplan des Bundesrats zur schrittweisen Öffnung der Wirtschaft, ist er doch für die Planungssicherheit der Betriebe absolut zentral. Jedoch ist bis jetzt völlig unklar, ob und wann die Schutzkonzepte gelockert oder gar wegfallen werden und somit wieder ohne Einschränkungen gewirtschaftet werden kann. Bis auf Weiteres werden sich die Betriebe mit empfindlichen Umsatz- und Gewinneinbussen abfinden müssen.

Die Auswirkungen des Coronavirus bleiben einschneidend und es ist wahrscheinlich, dass sich Wirtschaft und Gesellschaft mittel- bis längerfristig auf eine neue Normalität einrichten müssen.