Das BVG in seiner Reinheit

31. Januar 2020 Meinungen

Debakel: So skandierten postwendend Vertreter überobligatorischer Pensionskassen, als der Schweizerische Arbeitgeberverband, Travail.Suisse und der Schweizerische Gewerkschaftsbund ihren Sozialpartnerkompromiss zur Anpassung des BVG an die demografische Realität dem Publikum präsentierten. Die Kritik entzündete sich daran, dass das BVG mit dem Vorschlag nicht mehr frei von Umlage sei – mit anderen Worten: befleckt würde. Wehret den Anfängen und bewahrt das BVG in seiner Reinheit, wurde flugs gepredigt. Hinter vorgehaltener Hand störten sich die Chefs wohldotierter Kassen aber mindestens so sehr, dass sie die Stabilisierung des bröckelnden BVG – wie alle anderen Akteure – mitfinanzieren sollten. Umgehend stimmte die NZZ in den Chor ein und liess den Leser wissen, nichts tun sei besser.

Der Bundesrat liess sich von diesen Unkenrufen nicht beirren. Er beschied, dass nur der Sozialpartnerkompromiss die Renten weniger begüterter Erwerbstätiger ausreichend sichert. Zudem sorgt der Kompromiss für eine Verbesserung der Konkurrenzfähigkeit älterer Arbeitnehmer auf dem Arbeitsmarkt (durch die Reduktion der Altersgutschriften von vier auf zwei und deren Glättung auf neun und 14 Prozent) und versichert Teilzeitarbeitende, insbesondere Frauen (durch die Halbierung des Koordinationsabzugs), besser.

Offensichtlich ist vieles an diesem Sozialpartnerkompromiss doch nicht so übel. So hat die Politik seit Langem nach einer anwendbaren Formel zur Reduktion der Altersgutschriften älterer Mitarbeiter gesucht. Zugleich ist mit der Senkung des Koordinationsabzugs eine Antwort gefunden für Teilzeit arbeitende Frauen, die in der Wirtschaft nicht mehr wegzudenken sind.

Doch am solidarisch finanzierten Rentenzuschlag scheiden sich die – ideologischen – Geister. Allerdings fliesst kein Rappen dieser zweckgebundenen Umlage über die AHV. Deshalb wird der Beitrag von 0,5 Prozent – paritätisch zu tragen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern – auch nicht auf dem vollen Einkommen erhoben, sondern nur auf dem in der beruflichen Vorsorge maximal versicherbaren AHV-Lohn. Doch zugegeben, der Rentenzuschlag verlangt auch den Arbeitgebern der reichen überobligatorischen Kassen einen Lohnbeitrag von 0,25 Prozent ab. Das ist der Preis für die Stabilisierung des BVG-Fundaments, auf dem sie bauen.

Weil der Asip als Verband der reichen Pensionskassen den Bundesrat mit seinem eigenen Modell nicht zu überzeugen vermochte, musste er sich andere Verbündete im Kampf gegen den ungeliebten Rentenzuschlag suchen. Fündig wurde er beim Dachverband der Arbeitgeber, wo drei deutlich unterlegene Verbände sich darauf einliessen, zu den selbsternannten Vertretern der reinen Lehre zu konvertieren. Seither skandieren auch sie: Rettet die Reinheit des BVG!

Fakt ist, dass sich der Rentenzuschlag nicht einfach herausbrechen lässt. Das Modell ist fein austariert, die Sozialpartner haben kaum eine Alternative ausgelassen. So wurde etwa geprüft, den Rentenzuschlag zu befristen. Allerdings entstünden daraus in den nächsten Jahren Kosten, die gerade für gewerbliche Branchen und ihre Beschäftigten nicht verkraftbar wären. Verbesserungen sind aber willkommen, sofern sie den Kompromiss nicht aus den Angeln heben. Denn ohne Kompromiss rückt eine BVG-Reform in weite Ferne.

Dass der Rentenzuschlag als solidarisch finanzierte Umlagekomponente die wirkliche Knacknuss sein soll, ist nur schwer vorstellbar. Erstens scheinen sich die Vertreter der Reinheit an den Zuschüssen bei ungünstiger Altersstruktur – einer klassischen Umlage – nicht zu stören. Jedenfalls wollen sie dieses Instrument nicht abschaffen. Zweitens: Ohne Umlagekomponente hätte das BVG gar nicht eingeführt werden können. Am 1.1.1985 galt nämlich für die Eintrittsgeneration ein spezielles Regime. Die Sondermassnahmen sahen unter anderem für 20 Jahre garantierte Mindestleistungen vor, die – soweit möglich – über Überschüsse, vor allem aber über einen paritätisch finanzierten Lohnbeitrag von 1 Prozent auf der versicherten Lohnsumme finanziert werden mussten. Schon diese Umlage erfüllte einen klar bestimmten Zweck im ansonsten kapitalgedeckten BVG. Profitiert davon haben ältere Versicherte und solche mit tieferen Einkommen.

Was steht uns bevor, wenn Bundesrat und Parlament auf die Alternativmodelle umschwenken würden? Dann hätte eine nächste Generation von Neurentnern mit tieferen Löhnen und entsprechend tiefen zu erwartenden Renten Renteneinbussen von mindestens zehn Prozent zu verkraften. Spätestens eine Volksabstimmung würde diesem Spuk dann ein Ende bereitet. Zur Erinnerung: Am 10. März 2010 schickte das Volk einen Versuch für eine weniger weitgehende Senkung des Mindestumwandlungssatzes ohne hinreichende Kompensation mit 73 Prozent Nein-Stimmen wuchtig bachab. Doch die reine Lehre im BVG blieb gewahrt.