Mensch und Maschine – kein Gegeneinander

20. Dezember 2018 Medienbeiträge

Die Digitalisierung wird die Stellenverlagerung vom Industrie- in den Dienstleistungssektor weiter vorantreiben. Die Schweiz kann von diesem Wandel profitieren, wenn sie namentlich im Bereich der Qualifizierung und Weiterbildung von Arbeitskräften die Hausaufgaben macht. Abstand zu nehmen ist hingegen von unklugen Regulierungen auf Vorrat.

Mit dem Einsatz von digitalen Technologien kann die Wirtschaft mittel- bis längerfristig ihre Produktivität steigern. Dies ist die Grundlage für höhere Löhne und Kapitaleinkommen sowie sinkende Preise. Mit dem technischen Wandel entstehen zudem neue Berufe, Branchen und Güter. Durch die Datenflut und ausgeklügelte Algorithmen können inzwischen viele Arbeiten kodifiziert und automatisiert werden, was vor allem in der Dienstleistungsbranche neue Möglichkeiten zum Einsatz von Maschinen schafft.

Dieser Strukturwandel ist weder neu noch auf die Schweiz beschränkt. Er hat sich in den letzten Jahrzehnten aber beschleunigt, indem zahlreiche Arbeitsstellen im Industriesektor ab und im Dienstleistungssektor aufgebaut worden sind. Gemäss Bundesamt für Statistik sind in den letzten 25 Jahren in der Schweiz beinahe 950’000 Stellen entstanden. Während im zweiten Sektor fast 140’000 Stellen verloren gegangen sind, hat der dritte Sektor mit 1.1 Millionen neuen Stellen kräftig zugelegt. Die Stellenverschiebungen vom Industrie- in den Dienstleistungssektor sind vorwiegend eine Folge von Automatisierungen und Produktionsverlagerungen ins Ausland.

Befürchtungen, wonach der Mensch im Vergleich mit der Maschine den Kürzeren zieht, sind mehrfach unbegründet. Zwar werden in vielen Berufen einzelne Tätigkeiten automatisiert. Die Berufe werden damit aber nicht zwangsläufig aufgehoben, sondern ihr Profil verändert sich, indem etwa neue Tätigkeiten aufgenommen werden. Zudem scheitert die Automatisierung von Stellen oft an gesellschaftlichen, rechtlichen und ethischen Hürden. Zwar wäre eine Roboterisierung der Altenpflege in der Schweiz ebenso möglich wie in Japan. Doch sie wird in der Schweiz aus kulturellen Gründen auch künftig viel weniger oft Anwendung finden. Attraktiv ist eine Automatisierung erst, wenn sie nicht nur günstiger ist als die bisherige Arbeitskraft, sondern mit ihr auch ein deutlich höheres Produktionsniveau und bessere Qualität einhergehen.

Es ist also kaum davon auszugehen, dass der Schweiz in den nächsten Jahren die Arbeitsplätze wegbrechen. Viel eher dürfte Handlungsbedarf bei den Kompetenzen der Arbeitnehmenden bestehen, denn der Strukturwandel verstärkt die Nachfrage nach bildungsintensiven Tätigkeiten. Sicherzustellen ist dabei vor allem, Arbeitnehmende in Berufen mit einem hohen Anteil an Routinetätigkeiten so umzuschulen, dass sie an Arbeitsplätzen mit einem deutlich geringeren Anteil an Routinetätigkeiten tätig sein können. Die Kompetenzen von Arbeitskräften können in Fachwissen (knowledge), Fertigkeiten (skills) und Fähigkeiten (abilities) unterteilt werden. Während erstere beide durch Aus- und Weiterbildung sowie Berufserfahrung erworben und entwickelt werden, sind Fähigkeiten primär angeboren und können mit Training zu einem gewissen Teil gefördert werden. Eine Umfrage in 28 OECD-Ländern über die Fähigkeiten von Beschäftigten zeigt, dass mehr als 50 Prozent der erwachsenen Bevölkerung nur einfachste oder gar keine ICT-Fähigkeiten haben. Die betroffenen Erwerbstätigen müssen ihre Lücken eigenverantwortlich mit Weiterbildungen schliessen. Die Arbeitgeber können sie dabei nach ihren betrieblichen Möglichkeiten unterstützen. Ausserdem müssen die Arbeitgeber noch besser darin werden, das Potenzial einer digitalen Wirtschaft zu erkennen. Einmal mehr wird in der Schweiz der Beitrag des dualen Bildungssystems entscheidend sein. Es unterstützt massgeblich eine breitflächige Arbeitsmarktintegration sowie eine berufsnahe Ausbildung und Spezialisierung. Ebenso gewährleistet es die Durchlässigkeit von der Berufs- zur akademischen Bildung.

Die Digitalisierung bringt für die Schweizer Wirtschaft zweifellos Herausforderungen, namentlich im Bereich der Qualifizierung und der Weiterbildung von Arbeitskräften. Ungleich grösser ist jedoch das Potenzial für den Wirtschaftsstandort Schweiz, sofern es nicht vorzeitig durch unkluge Regulierungen im Keim erstickt wird. Im internationalen Standortwettbewerb bietet die Digitalisierung für die Schweizer Wirtschaft zusätzliche Chancen, ihre Attraktivität für Arbeitskräfte und
Unternehmen zu erhöhen.

Der Beitrag von Daniella Lützelschwab ist im Zürcher Wirtschaftsmonitoring 04/18 erschienen.