«Zuwanderung von nur 21’000 ist unrealistisch»

15. Dezember 2015 Medienbeiträge

Arbeitgeberpräsident Valentin Vogt spricht in der Sonntagszeitung über die Schutzklausel und das Ende der Oppositionsrolle der SVP.

Sie haben nun eine klar bürgerliche Mehrheit im Bundesrat. Ist die Wirtschaft zufrieden?
Erst einmal müssen wir verhindern, dass nicht noch im letzten Moment in alter Zusammensetzung des Bundesrates Entscheide gefällt werden, die nicht im Sinne der Wirtschaft und damit letztlich auch schädlich für unser Land sind.

Was denn?
Am Freitag präsentiert der Bundesrat wahrscheinlich weitere flankierende Massnahmen im Bereich der Zuwanderung. Wenn ich mir den Giftschrank mit möglichen Massnahmen der Gewerkschaften anschaue, dann erahne ich Böses.

Die werden ja wohl kaum den Sozialismus einführen.
Nein, aber es besteht die Gefahr, dass das Erfolgsmodell Schweiz massiv gefährdet wird. Die Gewerkschaften wollen zum Beispiel, dass in der Schweiz jedes Jahr 20 Prozent der Arbeitgeber kontrolliert werden. Was bedeuten würde, dass es Tausende von zusätzlichen Kontrolleuren brauchen würde, die letztendlich die Wirtschaft bezahlen müsste.

Und was ist der zweite Schreck?
Man will die Gesamtarbeitsverträge ausweiten, zum Beispiel im Detailhandel. Diese sollen einfacher allgemeinverbindlich erklärt werden können, denn das Arbeitgeberquorum soll auch abgeschafft werden. Sozialpartnerschaft darf nicht von oben verordnet werden, sondern muss sich von der Basis aus entwickeln! Total kontraproduktiv wäre auch ein Kündigungsschutz für ältere Arbeitnehmer ab 55.

Nun, für die Betroffenen wäre das schon gut, selbst bei FDP und SVP ist anerkannt, dass wir da ein Problem haben.
Aber mit dem Kündigungsschutz laufen Sie Gefahr, dass einfach niemand mehr ältere Arbeitnehmer anstellt oder sie im Zweifelsfall mit 54 entlassen werden. Ein negatives Beispiel dafür finden wir in unserem Nachbarland Frankreich.

Und Sie befürchten, dass der Bundesrat das alles durchwinkt?
Ich habe kein gutes Bauchgefühl, denn es ist auffällig, wie das nun plötzlich eilt. In den letzten Jahren gab es in diesen Fragen oft eine 5 zu 2-Mehrheit gegen uns. Und der Bundesratsausschuss, der solche Geschäfte vorbereitet, bleibt gleich.

Wer ist denn das?
Johann Schneider-Ammann, Simonetta Sommaruga und Didier Burkhalter.

Zwei von der FDP und eine Sozialdemokratin. Wo ist das Problem?
In der Westschweiz ist man teilweise staatsgläubiger als bei uns. Das gilt auch für Bundesräte. Das hat sich auch in der Altersvorsorge gezeigt, auch ein Thema das nächstes Jahr entschieden wird.

Da hat der Ständerat ja kurz vor den Wahlen eine Rentenerhöhung bei der AHV von 70  Franken beschlossen…
…die wird den Nationalrat mit grosser Wahrscheinlichkeit nicht überleben. Die Vorlage muss auch entschlackt werden, da gibt es Hunderte von technischen Details, die man gar nicht ändern muss.

Wollen Sie das Paket aufbrechen?
Nein, mit dem Rest können wir grösstenteils leben. Aber es braucht noch eine zweite Stabilisierungsvorlage.

Wozu denn das?
Damit das Rentenalter ab frühestens 2030 im Falle einer Unterdeckung im AHV-Fonds langsam erhöht wird, entweder im politischen Konsens oder mittels einem Automatismus, der bis 2040 das Rentenalter in jährlichen Monatsschritten bis maximal 67 bringt.

Das hat doch vor dem Volk keine Chance.
Mag sein, dann gibt es halt in 10 Jahren eine weitere Abstimmung. Aber das Thema muss man angehen und kann es nicht einfach ausblenden.

Einschränkungen der Wirtschaft gibt es aber nicht nur wegen der Linken, sondern auch wegen der SVP bei der Zuwanderung. Da hat man sich ja nun auf eine Schutzklausel geeinigt. Wie hoch soll denn die Zuwanderung künftig sein?
In wirtschaftlich guten Zeiten ungefähr 10 bis 15 Prozent geringer als heute. Das haben wir von der Wirtschaft eingesehen. Die Zahl der Einwanderung muss sich nach dem Gang der wirtschaftlichen Situation in der Schweiz richten.

Wie hoch sollte denn die Nettozuwanderung nach Ihrem Modell nächstes Jahr sein?
Bisher haben wir etwa 80‘000 pro Jahr und das Wirtschaftswachstum liegt zirka bei einem Prozent. Ich würde sagen 65‘000, und wenn die Arbeitslosigkeit ansteigen würde, sollten es vermutlich etwa 50‘000 sein.

Christoph Blocher spricht aber von einem Schnitt von 21‘000.
Es werden viele Zahlen genannt. 21‘000, das ist auf jeden Fall unrealistisch. Ich bin überzeugt, die SVP, die jetzt wieder in die Konkordanz eingebunden ist, wird mithelfen, Lösungen zu finden. Für die Wirtschaft sind die nächsten vier Jahre die wichtigsten seit langem.

Warum?
Neben den besprochenen Anliegen gibt es wahrscheinlich auch noch die Möglichkeit, sich dem Freihandelsabkommen der EU mit den USA anzuschliessen, und das müssen wir unbedingt tun.

Da war vor 10 Jahren die SVP auch dagegen, wegen der Bauern.
Man kann doch nicht im Verhältnis zur EU den Rückzug auf ein Freihandelsabkommen fordern und dann ein solches Abkommen mit den USA ablehnen. Wir wollen uns doch nicht komplett isolieren. Meine Hoffnung ist, dass die SVP ihre Verantwortung wahrnimmt. Opposition, das war gestern. Nun ist die Zeit der Entscheide gekommen. Wir brauchen Lösungen. Nur Nein zu sagen, ist keine Lösung.

Das Interview mit Valentin Vogt ist in der Sonntagszeitung erschienen.