«Zeitliche Verbrauchs-Verschiebungen bringen keine Einsparung»

16. August 2022 5 Fragen an...

Eine mögliche Energiemangellage im Winter führt bei den Mitgliedern des Schweizerischen Arbeitgeberverbands (SAV) teilweise zu Verunsicherung. Zwar haben sich die meisten Unternehmen schon mit dem Szenario einer Energieknappheit befasst, aber in der Umsetzung gibt es zahlreiche offene Punkte. Der SAV hat nachgefragt beim Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco), beim Bundesamt für Energie (BFE) und beim Bundesamt für wirtschaftliche Landesversorgung (BWL).

Ende August soll eine schweizweite Energiespar-Kampagne in Zusammenarbeit mit der Wirtschaft starten. Was erwarten Sie konkret von den Unternehmen und den Branchenorganisationen?

BFE: Idealerweise haben wir eine gemeinsame und abgestimmte Kampagne und verstärken so die Massnahmen für Energieeffizienz. Dazu tauschen wir uns mit verschiedenen Branchenorganisationen aus, notabene auch dem Schweizerischen Arbeitgeberverband.

Wie viel Energie gespart werden kann, darüber gibt es noch keine belastbaren Studien für die Schweiz. Wenn wir nach Japan schauen, sehen wir, dass sie 2011 bei der Stromknappheit aufgrund der Havarie in Fukushima mit einer ähnlichen Kampagne je nach Region und Studie zwischen 8 und 18 Prozent Strom eingespart haben. Natürlich kann dies nicht komplett auf die Schweiz übertragen werden.

Wieso ist es wichtig, jetzt schon Energie, insbesondere auch Strom, einzusparen?

BFE: Neben den eingesparten Stromkosten bewirken heutige Einsparungen beim Strom, dass unter anderem weniger Wasser aus Stauseen turbiniert werden muss und damit mehr Wasser in den Stauseen verbleibt. Dieses Wasser kann im Winter zur inländische Stromproduktion genutzt werden. Sollte der eingesparte Strom heute ins europäische Ausland verkauft werden, kann dies zur Reduktion des Gasverbrauches in Gaskraftwerken bzw. zur Füllung der Gasspeicher beitragen. Dieses Gas kann im Winter zur Stromproduktion oder fürs Heizen verwendet werden. Die Schweiz ist im Winter sowohl auf Gas- wie auch auf Stromimporte aus dem europäischen Ausland angewiesen. Die frühzeitige Auseinandersetzung mit dem Stromsparen ermöglicht es, die wichtigsten Stromsparpotenziale zu bestimmen und allfällige Massnahmen für die Umsetzung einzuleiten, solange Ausrüstung wie zum Beispiel LED-Lampen oder Wassersparbrausen verfügbar sind. Das gilt auch für den direkten Gasverbrauch (vgl. freiwillig 15 Prozent Gas einsparen in Europa).

Wenn die Sparappelle nicht ausreichen, sollen die 30’000 Strom-Grossverbraucher kontingentiert werden. Sind hier Ausnahmen vorgesehen? Müssten beispielsweise Datenzentren von einer Kontingentierung ausgenommen werden, damit die IT-Infrastruktur der Unternehmen auch in einer Mangellage weiterhin sicher betrieben werden kann?

BWL: Wie Sie der Grafik «Wenn der Strom knapp wird» auf unserer Website entnehmen können, gibt es zwischen Sparappellen und Kontingentierungen noch einen Zwischenschritt: «Einschränkung oder Verbote nicht zwingend benötigter Geräte und Anlagen». Betroffen sein könnten beispielsweise Strassen- oder Schaufensterbeleuchtungen, Schneekanonen, Wellnesseinrichtungen. Erst im dritten Schritt wären Kontingentierungen angesagt. Ziel von Verbrauchseinschränkungen und Kontingentierungen von Grossverbrauchern ist es, Angebot und Verbrauch auf reduziertem Niveau ins Gleichgewicht zu bringen, damit es nicht zu Netzabschaltungen kommen muss. Diese hätten für alle, Bevölkerung und Wirtschaft, massiv höhere Konsequenzen als die vorangehenden Massnahmen.

Betreiber kritischer Infrastrukturen wie auch grundversorgungsrelevante Verbraucher werden grundsätzlich gleich behandelt wie Grossverbraucher, die nicht zu einer dieser Gruppen gehören. Situationsabhängig können bestimmte grundversorgungsrelevante Verbraucher teilweise oder ganz von Bewirtschaftungsmassnahmen ausgenommen werden. Diese Beurteilung ist aber nur in der konkreten Krisensituation möglich. Entsprechend sind auch Betreiber kritischer Infrastrukturen und versorgungsrelevante Unternehmen angehalten, ihr Energiesparpotenzial im Falle einer Strommangellage auszuschöpfen.

Einzelne unserer Mitglieder überlegen sich im Rahmen der Krisenplanung, ob energieintensive Arbeiten auch in die Nacht oder ins Wochenende verlegt werden könnten. Oder ob Homeoffice eine Möglichkeit wäre. Könnte man so den Stromverbrauch glätten?

BWL: In einer Strommangellage geht es darum, den Stromverbrauch einzuschränken, weil mit dem Angebot die Nachfrage nicht gedeckt werden kann. Zeitliche Verschiebungen bringen keine Einsparung. Homeoffice ist momentan nur eine Option unter vielen Ideen, die uns zugetragen werden, und die es zu prüfen gilt.

Eine Stromkontingentierung könnte dazu führen, dass Unternehmen ihre Produktion teilweise einstellen müssten. Sind Entschädigungen vorgesehen?

SECO: Es gibt einen entscheidenden Unterschied zur Situation während der Pandemie. Damals mussten über 100’000 Betriebe wegen der unmittelbar drohenden Gesundheitsgefährdung schliessen. Jetzt ist es anders: Bereits seit dem Frühjahr ist bekannt, dass es im Winter eine Strommangellage geben kann. Die Unternehmen haben Zeit, sich darauf vorzubereiten. Die Unternehmen können und müssen dieses betriebliche Risiko einkalkulieren.

Etwas anderes wäre es, wenn den Unternehmen eine dauerhafte Schliessung verordnet würde. Das Landesversorgungsgesetz schliesst Endschädigungen im Falle unzumutbarer Ereignisse nicht aus.