«Blick» lenkt ein

7. Februar 2017 Meinungen

Wie man eine missglückte Recherche seiner Leserschaft als Erfolg verkaufen will, hat uns gerade der «Blick» vorgeführt. Unter dem Titel «Arbeitgeber lenken ein» haben die Newsroom-Strategen dem Leser weismachen wollen, dass der Schweizerische Arbeitgeberverband (SAV) in der Frage der Betreuung von kranken Kindern durch ihre berufstätigen Eltern eine «Kehrtwende» vollzogen habe. Gottseidank, so wird in einem «Happy End» suggeriert, sei Arbeitgeber-Direktor Roland A. Müller nach hartnäckigen Recherchen der selbsternannten Aufklärer wieder vernünftig geworden. Zuvor habe er «tunlichst unterbinden» wollen, dass Väter oder Mütter zu Hause bleiben, wenn ein Kind krank ist.

Worum ging es? Die Arbeitgeber erklärten gegenüber dem «Blick», welche Rechte und Pflichten berufstätige Eltern haben, wenn sie wegen eines kranken Kindes nicht am Arbeitsplatz erscheinen können. Unsere Aussagen waren weder neu noch spektakulär. Aber mit etwas Phantasie liess sich daraus eine fette Schlagzeile basteln. So titelte die Zeitung tags darauf: Der Ratschlag des Arbeitgeber-Direktors – «Krankes Kind im Voraus planen». Dieses Zitat hat der «Blick» jedoch nicht «verkürzt», sondern schlichtweg verfälscht. Nachdem die «Blick»-Redaktion davon in Kenntnis gesetzt wurde, versuchten sich die Urheber des Schlamassels mit dem bekannten Kniff aus der Affäre zu ziehen, das Titelzitat sei im Text vollständig wiedergegeben worden. Im nächsten Akt des inszenierten Dramas war dann etwas Schlaumeierei gefragt: Das Boulevardblatt legte nach, indem es verschiedene Personen das falsche Zitat beurteilen liess. So war etwa zu lesen, dass die Zürcher Volkswirtschaftsdirektorin Carmen Walker Späh dem Arbeitgeber-Direktor widersprach: «Aus persönlicher Erfahrung als Mutter weiss ich, dass es nicht möglich ist, die Krankheit der Kinder zu planen.» Die Empörung war auf dem Siedepunkt.

 

Mit etwas Phantasie liess sich daraus eine fette Schlagzeile basteln.

Geflissentlich verschwieg die Redaktion, dass sie im selben Bericht nicht autorisierte Zitate von Arbeitgeber-Präsident Valentin Vogt verwendete. Dazu liegt dem SAV eine schriftliche Entschuldigung vor. Dessen ungeachtet sahen Rechercheure und Produzenten über diese Fehlleistung hinweg, denn das Rad der wohl gut einstudierten Kampagne musste weiter gedreht werden. In ihr Drehbuch passte nicht, dass die Arbeitgeber auf ein gesetzlich vorgegebenes Arztzeugnis verzichten. Oder dass sie natürlich jederzeit bekräftigen würden, kein Jota vom Gesetz abzuweichen, wenn man sie denn danach fragen würde. Um das zu erfahren, musste man nicht den «Blick», sondern die SAV-Website konsultieren, wo die Haltung der Arbeitgeber bei pflegebedingten Absenzen nachzulesen ist.

Diese Stellungnahme entging auch dem «Blick» nicht. Er deutete den Beitrag flugs zu einem Teilsieg um und feierte sich selber: «Hätte der Arbeitgeberverband gleich am Anfang so reagiert, hätte er sich den Protest ersparen können.» Es war aber nicht der Verband, der falsch reagierte, sondern es waren «Blick»-Journalisten, die Fakten ausblendeten, nicht nachfragten, falsch und herabwürdigend zitierten oder nicht autorisierte Zitate verwendeten. Wer also wissen möchte, was die Haltung der Arbeitgeber ist, dem sei die Lektüre des Artikels auf der SAV-Website empfohlen – ganz nach dem Motto: Lieber das Original als ein Text, der schon mit einem «verkürzten Titel» beginnt.

Dem neuen Chefredaktor Christian Dorer dürfte nach seiner ersten Arbeitswoche an der Dufourstrasse bewusst geworden sein, dass er einiges an Arbeit vor sich hat, wenn er nicht nur schlagzeilenträchtigen, sondern glaubwürdigen Boulevard machen will. Oder schwenkt etwa auch der «Blick» ein auf «alternative facts», wie wir sie neuerdings aus den USA kennen? Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.

 

Arbeitgeber-Direktor Roland A. Müller nahm bereits am Donnerstag, dem 2. Februar 2017, in der Sendung HeuteMorgen von Radio SRF zum Thema Stellung.