Prävention zwischen individueller Verantwortung und staatlicher Fürsorge

31. Januar 2011 News

Am ersten Präventionstag der Privatwirtschaft diskutierten Vertreter der Wirtschaft über das Thema Prävention und Gesundheitsförderung. Dabei ging es auch um die unternehmerische Verantwortung.

Hintergrund des ersten Präventionstages der Privatwirtschaft bildete die Debatte um das umstrittene neue Bundesgesetz über Prävention und Gesundheitsförderung. Dieses soll im Frühjahr im Nationalrat erstmals behandelt werden. Rund 100 Interessierte kamen an die Tagung, welche vom Schweizerischen Versicherungsverband (SVV) gemeinsam mit Economiesuisse und dem Schweizerischen Arbeitgeberverband (SAV) kürzlich durchgeführt wurde.

Thema als «Dauerbrenner»
Die Schweiz gibt jährlich rund 1,3 Mrd. Franken für Prävention und Gesundheitsförderung aus (Stand 2007), was 2,3% der Gesundheitskosten ausmacht. Die Aktivitäten des Bundes richten sich vorab auf die Themen Tabak, Alkohol, Ernährung und Bewegung. Da die Lebenserwartung in der Bevölkerung steigt, nehmen auch die Bedeutung und Qualität des Arbeitsplatzes zu. Prävention und Gesundheitsförderung gehören demnach zur unternehmerischen Verantwortung.

Gregor Breucker vom BKK Bundesverband Deutschland – sie ist die Spitzenorganisation von über 100 Betriebskrankenkassen – beleuchtete die Herausforderungen für eine gesunde Unternehmenskultur. «Das Thema ist in Europa ein richtiger Dauerbrenner», sagte er. Wichtig erscheint ihm einerseits die Relevanz des unternehmerischen, eigenverantwortlichen Handelns der Mitarbeitenden. Der Grad der «unternehmerischen Freiheit» sei der entscheidende gesundheitlich Schutzfaktor am Arbeitsplatz: «Wir können selbst mit höchsten Anforderungen zurechtkommen, wenn wir ausreichende Handlungskompetenzen und -freiheitsgrade besitzen.» Sein Augenmerk richtet er anderseits auf die Unternehmensführung und wie viel Werte und Wertschätzung sie vermitteln kann.

Er verwies darauf, dass gesunde Unternehmenskulturen für die eigene Wettbewerbsfähigkeit genutzt werden könnten und vier Faktoren beinhalten:

  • Ein möglichst grosser Entscheidungsspielraum für den einzelnen, wie er seine Arbeit organisiert
  • Ein Angebot des lebenslangen Lernens
  • Eine Kultur der Wertschätzung.
  • Die Qualität der Führung.

«Es geht nicht um ein Mehr oder ein Weniger in der Prävention», so sein Fazit, «sondern um eine neue Balance bei der individuellen und staatlichen Verantwortung.»

«Prävention rechnet sich»
Fridolin Marty, stellvertretender Leiter allgem. Wirtschaftspolitik und Bildung bei Economiesuisse, plädierte für eigenverantwortliches Handeln und eine Stärkung des Subsidiaritätsprinzips. Auch bei der betrieblichen Gesundheitsförderung soll seiner Meinung nach der präventive Ansatz möglichst nahe bei den Betrieben liegen. Die Aufgabe des Staates bestehe darin, die Rahmenbedingungen zu setzen und die Privatinitiative zu fördern.

Boris Zürcher, Leiter Wirtschaftspolitik beim Think Tank Avenir Suisse, verwies auf die Tatsache, dass im Jahr 2005 chronische, nicht übertragbare Krankheiten für rund 60% der weltweiten Todesfälle verantwortlich waren. Bis 2015 erwarte die WHO gar einen Anstieg auf rund 65%. Prävention setze bei der Veränderung der Entstehungsbedingungen für chronische Krankheiten an, indem zum Beispiel die Umweltbedingungen, die Bildung oder der Lebenswandel der Bevölkerung verbessert würden. Für ihn steht fest: «Prävention rechnet sich. Ich habe noch nie eine Kosten-Nutzen-Analyse gesehen, die zu einem anderen Schluss kommt.» Ein Marktversagen rechtfertige aber nicht eine staatliche Intervention. Entscheidend sei die Selbstverantwortung jedes einzelnen, sagte er.

Verweis auf Branchenlösungen
Stefan Spycher, Leiter Direktionsbereich Gesundheitspolitik beim Bundesamt für Gesundheit (BAG) unterstrich, die staatliche Aufgabe dürfe nicht eine moralische sein. «Wir verbreiten Sachinformationen, damit gute Entscheidungen getroffen werden. Wir wollen aber nicht den frei gewählten Lebensstil vermiesen.»

Jürg Zellweger, Geschäftsleitungsmitglied des Schweizerischen Arbeitgeberverbands sagte, dass eine gesunde und leistungsfähige Erwerbsbevölkerung natürlich im Interesse der Arbeitgeber liege. Durch die demografische Alterung nehme dieses Interesse noch zu. Nur würden immer neue und zusätzliche Forderungen hinsichtlich Rauchen, Alkohol, Ernährung oder Ergonomie etc. an die Betriebe herangetragen. Die Arbeitgeber hätten durchaus ein Interesse an einer sinnvollen Präventionsarbeit, auch von Seiten des Staates. Nicht zu vergessen seien die Branchenlösungen zur Prävention von Berufsunfällen und -krankheiten, die massgeblich zu sicheren und gesunden Arbeitsplätzen beitragen würden. Sein Fazit: «Prävention muss für die Betriebe tragbar und realistisch sein und darf ihren Kernauftrag nicht tangieren, nämlich im Wettbewerb zu bestehen.»