«Alle machen einen vollwertigen Job»

24. Januar 2012 News

Der «This-Priis» zeichnet Betriebe für ihr Engagement in der Eingliederung von handicapierten Menschen aus. Der Preis wurde dieses Jahr bereits zum siebten Mal verliehen. Die Auszeichnung erhielten zwei Firmen, die insgesamt sieben Betroffene beschäftigen. Deren Arbeitsleistungen sind für die Betriebe relevant und von wirtschaftlichem Nutzen.

Für die Nominierung zum «This-Priis» kommen Unternehmen aus dem Profit- und Non-Profit-Bereich im Raum Zürich in Frage, die Handicapierte aktiv, nachhaltig und erfolgreich integrieren. Für das Jahr 2012 wurden wiederum zwei Betriebe ausgezeichnet, die seit Jahren gesundheitlich beeinträchtigte Menschen an vollwertigen Arbeitsplätzen beschäftigen.

93 Mitarbeitende, davon vier mit Handicap
Die Elektro-Material AG in Zürich ist eine knapp hundertjährige Grosshandelsfirma. Sie beliefert konzessionierte Elektriker mit sämtlichem Material, das sie auf der Baustelle brauchen, vom Kabelschacht bis zum Schalter. Das Unternehmen ist mit neun Standorten in der Schweiz dezentral organisiert und besitzt ein Lager mit 67 000 Artikeln. Lager und Lagerbewirtschaftung sind stark EDV-unterstützt – Handarbeit ist aber auch in diesem High-Tech-Betrieb notwendig, zum Beispiel beim Zusammenstellen der Lieferungen an die Kunden. Im rund 93-köpfigen Team am Standort Zürich sind vier Mitarbeitende mit einem Handicap integriert.

Ciro Steiger absolviert in der Firma die Lehre als Logistiker. Vor drei Jahren wurde der begeisterte und begabte Unihockey-Spieler – er spielte bei einer U21-Mannschaft – von einem Auto angefahren und erlitt ein schweres Schädel-Hirn-Trauma. Nach fünf Wochen im Koma arbeitete er sich Schritt um Schritt ins normale Leben zurück. Heute meistert er die Anforderungen des Alltags, der Arbeit und der Ausbildung selbständig.

Betrieb zahlt Leistungslohn
Der geistig behinderte Andreas Polydorides arbeitet seit 29 Jahren in der Firma, heute in der Spedition. Dort ist auch Rudolf Cancian tätig. Der ehemalige Elektriker lebt mit nur einer Lunge und kann deshalb keine schwere körperliche Arbeit mehr auf staubigen Baustellen verrichten. Tashi Ilber, nach einem psychischen Zusammenbruch zurück in der Arbeitswelt, ist im Wareneingang beschäftigt. Alle vier Handicapierten beziehen eine Teil-IV-Rente, der Betrieb zahlt im Rahmen der Rentenbestimmungen dazu einen Leistungslohn.

«Der Aufwand, handicapierte Mitarbeiter zu integrieren, ist am Anfang manchmal zwar gross», sagt Kurt Stübli, Betriebsleiter von Elektro-Material AG. «Doch wenn jemand seinen Platz gefunden hat und die Abläufe reibungslos funktionieren, geht das auf ein normales Mass zurück.» Die handicapierten Mitarbeiter wüchsen in die Arbeit hinein und machten dann einen vollwertigen Job.

«Es geht!»
Die Kägi + Co AG in Winterthur ist ein über 130-jähriges Familienunternehmen mit 60 Mitarbeitenden. Seine Kernkompetenzen liegen im Stahlrohrhandel und in der Rohrbearbeitung mit spezieller 3D-Rohrlaser-Technologie. Die Integration von Mitarbeitern mit einem geistigen oder zerebralen Handicap fing bei der Firma vor fünf Jahren mit der Einstellung von Stefan B. an. Er sorgt für Ordnung in und um den Betrieb. Michael K. bewegt mit dem Hallenkran Rohre aus dem Lager auf die Sägemaschine. Er tut dies laut Firma «tatkräftig und absolut zuverlässig». Tobias T.‘s Haupttätigkeit ist das Entgraten: Er säubert die Schnittkanten der frisch geschnittenen Rohre mit Sorgfalt und «verliert dabei nie seine strahlende Laune». Auch bei der Kägi + Co AG beziehen die drei handicapierten Mitarbeiter eine Teil-IV-Rente, und das Unternehmen zahlt einen Leistungslohn.

Raimund Staubli, Leiter des Winterthurer Stahlrohrspezialisten, ist überzeugt, dass es «in allen Betrieben Arbeit für Menschen mit einem Handicap gibt – und zwar mit wirtschaftlichem Nutzen für das Unternehmen». Arbeiten, die einfach getan werden müssten, ob von einem handicapierten oder von einem anderen Mitarbeitenden. Voraussetzung für eine erfolgreiche Integration sei eine verlässliche Bezugsperson für die Betroffenen, sagt Raimund Staubli. Auch die Begleitung durch eine kompetente Institution bezeichnet er als fundamental, vor allem während der Anfangsphase der Integration. Viele Unternehmer hätten grosse Befürchtungen, handicapierte Mitarbeitende einzustellen. Er könne als Unternehmer aber sagen: «Es geht!»

Gesucht sind Nachahmer
Verliehen wurde der mit insgesamt 25 000 Fr. dotierte «This-Priis» am 24. Januar in Zürich. Entstanden ist der Preis durch eine private Initiative der Familie Widmer aufgrund persönlicher Betroffenheit. Der heutige Verein hofft, dass die ausgezeichneten Betriebe Nachahmer finden und dadurch weitere Arbeitsplätze für Handicapierte geschaffen werden.