Mehr Ferien – weniger Arbeitsplätze

27. Januar 2012 News

Die Volksinitiative «Sechs Wochen Ferien für alle» ist eine trügerische Verlockung, unterstreicht Thomas Daum, Direktor des Schweizerischen Arbeitgeberverbands. Sein Kommentar erschien am 27. Januar 2012 in der NZZ.

Am 11. März entscheiden die schweizerischen Stimmberechtigten über eine verführerische Vorlage. Die Forderung nach «sechs Wochen Ferien für alle» tönt sympathisch. Und sie wird von den Initianten scheinbar vernünftig mit dem Bedürfnis der Arbeitnehmenden nach mehr Erholung und ihrem Anspruch auf eine angemessene Beteiligung an den Produktivitätsfortschritten begründet. Bei näherer Betrachtung erweist sich jedoch: Die Initiative ist für die Grosszahl der Beschäftigten unnötig, schränkt den Spielraum für die sozialpartnerschaftliche Regelung der Arbeitsbedingungen ein und gefährdet mit ihren Kostenfolgen Arbeitsplätze in der Schweiz. Sie ist deshalb entschieden abzulehnen.

Die Mär vom Feriendefizit
Obwohl der gesetzliche Ferienanspruch heute vier Wochen pro Jahr beträgt, profitieren sehr viele Arbeitnehmende von Gesamtarbeitsvertrags- oder Firmenregelungen, die weit darüber hinausgehen. So erhalten die Beschäftigten in der Bauwirtschaft, in der Druckindustrie und in der Uhrenindustrie bis zum 50. Altersjahr fünf Wochen und danach sechs Wochen Ferien. Die chemisch-pharmazeutische Industrie hat eine nahezu gleich grosszügige Lösung, und in der MEM-Industrie sind die 40- bis 50-Jährigen noch besser gestellt. Auch in anderen Branchen liegen die effektiven Ferienansprüche deutlich über vier Wochen. Zudem haben die Beschäftigten noch acht bis zehn bezahlte Feiertage.

Von einem Feriendefizit der Beschäftigten in der Schweiz kann deshalb keine Rede sein, zumal sie auch im internationalen Vergleich nicht schlecht abschneiden. Man darf eben nicht nur auf die gesetzlichen Regelungen abstellen, sondern muss die effektiven Ferien-/Feiertagsansprüche miteinander vergleichen. Die Behauptung der Initianten, den schweizerischen Beschäftigten fehle die nötige Erholungszeit, steht zudem im deutlichen Gegensatz zu den Studien über die Arbeitszufriedenheit und zu den Absenzstatistiken: Die schweizerischen Arbeitnehmenden erklären zu über 85%, Arbeit und Freizeit gut miteinander vereinbaren zu können, und die Krankheitsabsenzen liegen hierzulande deutlich tiefer als in Ländern mit mehr Ferien.

Sache der Sozialpartner
Entscheidend ist, dass die guten Ferienbedingungen in der Schweiz von den betroffenen Sozialpartnern auf die Möglichkeiten und Bedürfnisse der jeweiligen Branchen oder Unternehmungen abgestimmt sind. Diese Differenzierungsmöglichkeiten gingen mit der Erhöhung des gesetzlichen Minimums von vier auf sechs Wochen Ferien verloren. Die Sozialpartner hätten keinen Spielraum mehr, um in ihren Verhandlungen praxisnahe Lösungen zu vereinbaren. In den Branchen und Unternehmungen ist auszuhandeln, wie die Arbeitnehmenden von der höheren Arbeitsproduktivität profitieren. Das muss nicht a priori in Form von verlängerten Ferien geschehen. Vielen Arbeitnehmenden sind andere Elemente der Arbeitsbedingungen, wie zum Beispiel die Wochenarbeitszeit, der Lohn oder die Sozialleistungen, ebenso wichtig.

Die sozialpartnerschaftliche Verteilung des Produktivitätsfortschritts funktioniert entgegen den Behauptungen der Initianten gut. Legt man die richtigen Daten zugrunde (nicht einfach den Lohnindex, der den wirtschaftlichen Strukturwandel ausklammert), dann haben sich Produktivität und Löhne in der schweizerischen Volkswirtschaft über die letzten 20 Jahre fast parallel entwickelt.

Gefährdung der Arbeitsplätze
Dementsprechend hoch sind die schweizerischen Arbeitskosten. Sie liegen ein Viertel bis ein Drittel über denjenigen wichtiger Konkurrenzstandorte und beeinträchtigen schon heute die internationale Wettbewerbsfähigkeit der schweizerischen Unternehmungen. Vor diesem Hintergrund sind weitere Kostenerhöhungen, wie sie die Annahme der Ferieninitiative bringen würde, nicht zu verantworten. Bei einer zusätzlichen Ferienwoche beträgt der Anstieg der Arbeitskosten für die betroffene Unternehmung über 2%. Gesamtwirtschaftlich ist – konservativ geschätzt – mit Kosten von etwa 6,3 Mrd. Franken zu rechnen. Darüber hinaus drohen den Unternehmen noch Organisationskosten und Wertschöpfungsausfälle. Besonders betroffen wären die KMU. Viele Unternehmungen könnten diese Belastungen nicht verkraften und müssten entweder bei anderen Leistungen kürzen oder Arbeitsplätze abbauen.

Es ist deshalb zu hoffen, dass die Stimmberechtigten am 11. März eine gesamtheitliche Betrachtung vornehmen und der trügerischen Verlockung von zusätzlichen Ferien widerstehen – auch und vor allem im Interesse der Arbeitnehmenden.