Wirtschaftliche Lage lässt wenig Spielraum für Lohnverhandlungen

9. August 2019 News

Erste substanzielle Lohnforderungen der Gewerkschaften machen die Runde. Derweil sorgt die angespannte Weltwirtschaftslage für Schlagzeilen: Der Industriesektor hat zu kämpfen, der Dienstleistungssektor kann sich gerade (noch) über Wasser halten. Grund genug für einen differenzierten Blick auf den Wirtschaftsstandort Schweiz im zweiten Halbjahr 2019.

«Düstere Prognosen für die Industrie», «Schweizer Konjunktur ist zweigeteilt», «Deutschland in der industriellen Rezession»: Die Signale der Wirtschaft müssen ernst genommen werden.

Die Entwicklung des Wirtschaftsstandorts Schweiz war von Ende 2018 bis zum Ende des ersten Quartals 2019 erfreulich. Inzwischen ist das Geschäft jedoch in vielen Exportbranchen regelrecht eingebrochen. Die Expertengruppe des Bundes geht deshalb fürs Jahr 2019 aktuell noch von einem prognostizierten Wirtschaftswachstum von 1,2 Prozent und einer Teuerung von 0,6 Prozent aus. Ein wichtiger Indikator für die Befindlichkeit der Unternehmen ist der PMI (Purchasing Managers’ Index). Der PMI ist ein Stimmungsbarometer, der die Neigung von Unternehmen hinsichtlich des Auftragseingangs, der Produktion, der Beschäftigung, der Lieferungen und des Lagerbestands aufzeigt. Im Juli 2019 sank dieser im Vergleich zum Vormonat um drei Prozentpunkte auf 44,7 Punkte (Werte unter 50 weisen auf fallende Umsätze hin). Zur Einordnung: Dieser Wert war letztmals im Jahr 2009 so tief.

Auch die Exportzahlen geben wenig Anlass zur Euphorie: Der Zuwachs um 1,4 Prozent ist zur Hauptsache der Pharma- und Chemieindustrie (+ 2,4 Prozent) zuzurechnen. Die Unternehmen im Finanz- und Versicherungsbereich rechnen im zweiten Halbjahr zwar mit einer eher positiven Entwicklung ihrer Erträge, jedoch auf bedeutend tieferem Niveau als im Vorjahr. In der Uhrenbranche oder der Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie (MEM-Industrie) stagnierten die Exporte oder waren gar rückläufig. Besonders die MEM-Industrie bekommt die Auswirkungen der schwächelnden deutschen Wirtschaft stark zu spüren. Auch bei den Dienstleistungen ist der PMI im Juli erstmals unter die Marke von 50 Punkten gefallen, nachdem er im April noch bei 61,8 Punkten gelegen hatte.

Gemäss der Konjunkturforschungsstelle KOF der ETH Zürich wird die Binnenwirtschaft allerdings zurzeit noch durch die Baubranche und zunehmend durch das Gastgewerbe gestützt. Etwas besser im Vergleich zum ersten Halbjahr sieht die Lage bei den übrigen Dienstleistungen – 14 eher binnenorientierte Branchen – aus. Während die Lage beim Grosshandel noch als gut bezeichnet werden kann, entwickeln sich die Erträge der Unternehmen im Detailhandel wenig dynamisch und sind weiterhin leicht unter Druck.

Doch der Handelskonflikt zwischen den USA und China sowie der ungewisse Ausgang des Brexit hängen derzeit wie ein Damoklesschwert über der Weltwirtschaft. Diese Unsicherheiten führen in grossem Stil dazu, dass Unternehmen mit ihren Investitionen zuwarten oder gänzlich davon absehen. Zu diesen internationalen Planungsunsicherheiten kommen für Schweizer Unternehmen der noch ungewisse Ausgang der Verhandlungen der Schweiz mit der EU rund um den Abschluss eines Rahmenabkommens sowie die im nächsten Jahr anstehende Kündigungsinitiative hinzu. Das alles schränkt die Investitionsbereitschaft der Unternehmen ein.

In Bezug auf die Lohnentwicklung der letzten Jahre ist ein Blick zurück aufschlussreich: Unternehmen haben in den Jahren nach der Aufhebung der Frankenuntergrenze ihre preisliche Wettbewerbsfähigkeit während konjunkturellen Schwächephasen respektive in Zeiten des überbewerteten Schweizer Frankens kaum durch einen Stellenabbau oder eine Senkung der Löhne ausglichen. Sie taten dies mehrheitlich auf Kosten einer tieferen eignen Marge. Dies hatte – zusammen mit der Negativteuerung – die Öffnung der Schere zwischen dem Wachstum der Reallöhne und der Arbeitsproduktivität zur Folge (Vgl. Grafik).

Grafik: Wachstum von Real- und Nominallohn sowie der Arbeitsproduktivität (2008 ≡ 100%; Quellen: BFS, VGR).

Dieses Auseinanderdriften von Reallohn- und Arbeitsproduktivitätswachstum führte ausserdem zu einer Zunahme der Lohnquote am Bruttoinlandprodukt, was im internationalen Vergleich beachtlich ist. Solch eine Schere darf aber kein Dauerzustand sein, ist doch die Arbeitsproduktivität mittelfristig der mit Abstand wichtigste Treiber des Lohnwachstums.

Sowohl Nominallohn wie auch Reallohn wuchsen zwischen 2008 und 2018 durchschnittlich um gut ein Prozent pro Jahr, was in Anbetracht der wirtschaftlichen Herausforderungen der Unternehmen durchaus bemerkenswert ist.

Die ersten hohen Forderungen von Gewerkschaftsseite für den kommenden Lohnherbst kommen deshalb verfrüht und werden den wirtschaftlichen Gegebenheiten nur unzureichend gerecht.