Nachvollziehbarer Entscheid des Bundesgerichts – Bundesrat bei IV-Sanierung auf Glatteis

14. Dezember 2017 News

Das Bundesgericht rückt auch bei der Abklärung des IV-Rentenanspruchs infolge von Depressionen neu die Auswirkungen auf die Erwerbsfähigkeit ins Zentrum. Der Entscheid begünstigt aus Sicht der Arbeitgeber tendenziell die berufliche Eingliederung und den Grundsatz «Eingliederung vor Rente». Trotzdem kann aufgrund der bisher restriktiven Praxis bei Depressionen eine Zunahme der Rentenzusprachen nicht ausgeschlossen werden. Der Bundesrat begibt sich mit seinem Verzicht auf zusätzliche Sanierungsmassnahmen für die IV immer mehr auf Glatteis.

Das Bundesgericht ändert die Praxis bei der Abklärung des IV-Rentenanspruchs bei psychischen Erkrankungen. Bisher konnten Personen mit einer leichten bis mittelschweren Depression erst dann ihren Anspruch auf eine IV-Rente geltend machen, wenn sich ihr Gesundheitszustand trotz Therapien nachweislich nicht verbessert hat. Dazu mussten Betroffene in der Vergangenheit faktisch jahrelange Therapien durchlaufen. Gemäss der neuen Rechtsprechung stehen im Einzelfall künftig weniger die Diagnose und die theoretisch mögliche Therapierbarkeit im Vordergrund, als die konkreten Auswirkungen der gesundheitlichen Beeinträchtigung auf die Erwerbsfähigkeit.

Die Praxisänderung ist aus Sicht des Schweizerischen Arbeitgeberverbands (SAV) nachvollziehbar und mit Blick auf die berufliche Eingliederung sachgemäss. Dadurch wird dem Abgleich der Erwerbsfähigkeit einer Person mit den konkreten Anforderungen am Arbeitsplatz eine höhere Bedeutung zukommen. Umso mehr trifft das kürzlich vom Netzwerk Compasso lancierte ressourcenorientierte Eingliederungsprofil (REP) den Nerv der Zeit. Mit diesem Profil erhalten die Ärzte wichtige Informationen, um die Erwerbsfähigkeit von Patienten zu beurteilen. Im Gegenzug können die Arbeitgeber zusammen mit ihren betroffenen Mitarbeitenden und mithilfe der detaillierten Angaben der Ärzte einen Plan erstellen, um die Patienten rasch und gezielt an ihren bisherigen oder einen angepassten Arbeitsplatz zurückzuführen.

Aufgrund der bisherigen restriktiven Praxis bei der Abklärung von Rentenansprüchen bei Depressionen kann eine Zunahme der Rentenzusprachen allerdings nicht ausgeschlossen werden. Trifft dies zu, wird sich die finanzielle Lage der IV weiter verschlechtern. Das Sozialwerk hat bei der AHV noch immer über 11 Milliarden Franken Schulden, und nächstes Jahr fällt die Zusatzfinanzierung von 0,4 Prozent Mehrwertsteuer weg. Der Bundesrat war bei der Lancierung der IV-Weiterentwicklung noch der Auffassung, die IV sei bis 2030 entschuldet. Deshalb seien keine weiteren Sanierungsmassnahmen nötig. Ursprünglich hatte er die Entschuldung sogar bis 2023 in Aussicht gestellt. Aufgrund diverser Entwicklungen hat sich das Zieldatum seit Verabschiedung der Vernehmlassungsvorlage zur IV-Weiterentwicklung vor gut zwei Jahren bereits auf 2032 verschoben. Jede weitere Zusatzbelastung verzögert die Entschuldung noch weiter. Mit seiner Einschätzung, wonach es keine weiteren Sanierungsmassnahmen braucht, begibt sich der Bundesrat immer mehr auf Glatteis. Dem Parlament bleibt deshalb nichts anderes übrig, als im nächsten Jahr die Vorlage zur IV-Weiterentwicklung mit Sanierungsmassnahmen zu ergänzen, wie sie der SAV bereits in seiner Vernehmlassungsantwort gefordert hatte.