BVG-Reform: Bitter notwendige Medizin

20. Dezember 2019 Medienbeiträge

In der «Handelszeitung» zeigt Roland A. Müller auf, weshalb der Sozialpartnerkompromiss die Zukunftsfähigkeit aller Kassen sichert. Und warum der Kompromiss nicht abgeändert werden darf.

Die obligatorische berufliche Vorsorge (BVG) krankt an überhöhten Rentenversprechen. Im BVG wird mit dem starren gesetzlichen Mindestumwandlungssatz von 6,8 Prozent ein Alterskapital von 10’0000 Franken bei der ordentlichen Pensionierung in eine lebenslange Jahresrente von 6’800 Franken umgewandelt. Aufgrund von längerer Lebenserwartung und tieferen Anlagerenditen wäre gemäss Experten beim selben Kapital jedoch inzwischen eine Jahresrente von rund 5’000 Franken korrekt.

Für solche Anpassungen haben Pensionskassen, die mehr als das gesetzliche Minimum versichern, einen Spielraum. Weil die Mindestvorgaben im Überobligatorium nicht gelten, können die PK-Verantwortlichen in einer Mischrechnung den kasseneigenen Umwandlungssatz auf realistische Werte senken. Auch im Obligatorium müssen die rentenbildenden Umwandlungssätze dringend diesen Realitäten angepasst werden. Sonst werden weiterhin jährlich rund 7 Milliarden Franken von Beschäftigten zu Rentnern umverteilt.

So hat der Bundesrat letzten Freitag einen Reformvorschlag in die Vernehmlassung geschickt, auf den sich der Gewerkschaftsbund, Travail Suisse und der Arbeitgeberverband (SAV) verständigt haben. Dieser Sozialpartnerkompromiss korrigiert die gröbsten strukturellen Missstände. Er zeichnet sich erstens dadurch aus, dass das Rentenniveau trotz sofortiger Reduktion des Mindestumwandlungssatzes auf 6 Prozent gehalten werden kann. Zweitens sind niedrige Einkommen und Teilzeitbeschäftigte aufgrund einer Halbierung des Koordinationsabzugs besser versichert. Davon profitieren besonders die Frauen und das Gewerbe. Drittens werden die älteren Arbeitnehmenden dank reduzierten Pensionskassenabzügen am Arbeitsmarkt konkurrenzfähiger. Und viertens: Im Unterschied zur vom Stimmvolk 2017 bachab geschickten Mammutvorlage werden erste und zweite Säule nicht unstatthaft vermischt.

Schnürt das Parlament den Kompromiss auf, droht ein Debakel

Zudem erhalten die älteren Erwerbstätigen einen Zuschuss, weil sie in den wenigen Jahren bis zur Rente nicht mehr genügend ansparen können, um ihre Rentenkürzungen auszugleichen. Eine solche Übergangslösung ist politisch ratsam, scheiterte doch die Volksabstimmung zur BVG-Reform von 2010 eben wegen dieser fehlenden Kompensation.

Vertreter von PK mit viel überobligatorischem Kapital kritisieren den pauschalen Rentenzuschlag, der mit einem Lohnabzug von 0,5 Prozent auf den AHV-pflichtigen Löhnen bis zum maximal im BVG versicherbaren Einkommen finanziert wird. Sie stören sich daran, dass sich wohldotierte Kassen, die ihre Umwandlungssätze im überobligatorischen Bereich bereits deutlich gesenkt haben, ebenfalls an der Gesundung von BVG nahen Kassen beteiligen müssen. Auf diese BVG-Kassen entfallen rund 30 Prozent der Erwerbstätigen.

Der pauschale Rentenzuschlag ist zweifellos eine schwer zu schluckende Kröte. Doch die Sozialpartner tragen als Hüter der zweiten Säule eine Verantwortung für das Gesamtsystem. Deshalb haben sie besonderes Gewicht gelegt auf die Zukunftsfähigkeit aller Kassen. Fällt diese ausbalancierte Garantie weg und schnürt das neu zusammengesetzte Parlament den Kompromiss auf, droht ein Debakel. Ohne die bitter notwendige Medizin müssten sämtliche Akteure um die Renten zittern.

Der Kommentar von Roland A. Müller ist in der «Handelszeitung» erschienen.