«Mit 1.10 Franken pro Euro sieht die Situation entspannter aus»

12. August 2015 Medienbeiträge

Die Frankenstärke lässt weiterhin nach. Erst letzte Woche ist der Euro auf über 1.07 Franken gestiegen. Am Montag erreichte der Euro erstmals seit Februar den Kurs von 1.08 Franken. Nun kostet der Euro fast 1.10 Franken. Valentin Vogt, der Präsident des Schweizerischen Arbeitgeberverbands, nimmt Stellung im Interview.

Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf hat gesagt, die Wirtschaft könnte mit einem Eurokurs von 1.10 Franken leben. Ist das so?
Valentin Vogt: Wir sind in erster Linie natürlich froh, dass sich der Kurs in diese Richtung entwickelt hat. Mit der aktuellen Marke von fast 1.10 Franken pro Euro sieht die Situation weit entspannter aus als bis anhin. Dies ist ein wichtiges Zeichen für die Wirtschaft und gibt neue Energie für Branchen, die mit dem heutigen Wechselkurs stark zu kämpfen haben.

Welche Branchen haben denn auch in Zukunft grosse Schwierigkeiten?
Das sind solche, die im Speziellen von der Mindestkursaufhebung getroffen wurden. Also zum Beispiel der Tourismus, Teile der Maschinenindustrie, aber auch die Textil- und Papierindustrie. Andere Branchen sind natürlich auch weiterhin indirekt betroffen, zum Beispiel Bauunternehmen, die stark von der Situation in der Industrie abhängen.

Welchen Kurs erwarten Sie für das zweite Halbjahr?
Der Franken ist nach wie vor überbewertet, das ist Fakt. Die Massnahmen der Nationalbank, insbesondere der Negativzins, fangen nicht von heute auf morgen an zu wirken. Im Moment sieht es aber so aus, dass der Frankenkurs so bleibt oder zumindest nicht stärker wird.

Was für ein Europreis wäre denn ideal?
Der Kurs von 1.10 ist sicher ein erster Schritt, das führt zu einer deutlichen Entspannung. Wir können aber nicht den Fünfer und das Weggli haben. Man kann nicht eine unabhängige Geldpolitik fordern und gleichzeitig den Euro über der Marke von 1.20 Franken erwarten. Wir müssen also immer das Gesamtpaket ansehen. Daneben haben wir noch andere Baustellen neben der Geldpolitik, wie zum Beispiel die Zuwanderung, die Energiepolitik, die Unternehmenssteuerreform oder die Altersreform, die Auswirkungen auf die wirtschaftliche Verfassung haben.

Wie entwickelt sich die Arbeitslosigkeit, wenn der Eurokurs längerfristig bei mindestens 1.10 Franken bleibt?
Wenn das jetzige Niveau Bestand hat, wird das sicherlich positive Auswirkungen haben. Je schwächer der Franken wird, desto weniger Entlassungen wird es geben. Bei einem Eurokurs von 1.00 erwarten wir 40‘000 Stellen, die verloren gehen. Bei einem Kurs von 1.05 Franken sind es «nur» noch 30‘000 Stellen und bei 1.10 Franken 20‘000 Stellen. Es spielen aber natürlich noch andere Faktoren für die Wirtschaftsentwicklung eine Rolle.

Welche sind das?
Man redet viel über den Euro. Dieser ist sicher wichtig für die hiesige Wirtschaftsentwicklung, aber auch der Dollar ist zu berücksichtigen. Denn der Franken hat sich auch gegenüber dem Dollar abgeschwächt und auch das hilft der Wirtschaft. Bei vielen Firmen ist der Dollar ebenso wichtig wie der Euro. Vor kurzem haben wir gehört, dass die USA die geldpolitischen Zinsen vermutlich nach oben anpassen müssen. Mit sich ausweitenden Zinsdifferenzen fangen die Instrumente der SNB, wie die Negativzinsen, an zu wirken. Natürlich ist auch im Blickfeld zu behalten, wie sich die Wirtschaft in Europa, in den USA oder in China entwickeln wird. Letztlich muss aber jedes Unternehmen die Entwicklung selbst beurteilen können und entscheiden, an welcher Schraube es zu drehen gilt.

Das Interview mit Valentin Vogt ist auf Tagesanzeiger.ch/Newsnet erschienen.