Der Arbeitgeberpräsident fürchtet um die Handlungsfähigkeit der Schweiz, sollte der Rahmenvertrag scheitern

10. Dezember 2018 Medienbeiträge

Valentin Vogt signalisiert Flexibilität in Verhandlungen über den Lohnschutz. Er will den Rahmenvertrag mit der EU retten.

Der Bundesrat kann sich nicht zu einer Haltung zum Rahmenabkommen mit der EU durchringen. Was halten Sie davon?
Ich kann das Verhalten der Landesregierung nachvollziehen. Es ist sinnvoll, den Rahmenvertrag öffentlich zu machen und eine Konsultation zu starten. Von den verschiedenen Alternativen finde ich zum jetzigen Zeitpunkt die Konsultation die beste.

Dass der Bundesrat keinen Entscheid gefällt hat, hängt damit zusammen, dass die Meinungen im Gremium weit auseinandergehen.
Den Vertrag zu paraphieren, wäre die schlechteste Variante gewesen. Die Regierung hätte damit das Abkommen bestätigt und dem Parlament ein take it or leave it signalisiert. Dieses Vorgehen wäre nicht mehrheitsfähig gewesen. Nun gibt es drei Bereiche, die erörtert werden müssen: die flankierenden Massnahmen, die Unionsbürgerrichtlinie und die staatlichen Beihilfen.

Wie beurteilen Sie den Vertrag?
Das Verfahren für Streitbeilegung und das System der dynamischen Rechtsübernahme überzeugen mich; da hat der Bundesrat einen guten Weg gefunden. Bei den staatlichen Beihilfen müssen nun vor allem die Kantone involviert werden. Die Unionsbürgerrichtlinie ist Angelegenheit des Bundesrats sowie der Kantone – und bei den flankierenden Massnahmen sind primär die Sozialpartner gefragt. Es ist nun endlich an der Zeit, dass man sich zusammensetzt und bespricht, wie sich das Lohnschutz-Niveau in der Schweiz halten lässt – auch mit anderen Instrumenten als bisher.

Wie finden Sie die Bestimmungen zum Lohnschutz, die nun im Vertrag enthalten sind? Vier statt acht Tage Voranmeldefrist für Unternehmen aus der EU, die Aufträge in der Schweiz ausführen wollen.
Aus meiner Sicht gilt es einen risikobasierten Ansatz zu finden: Der Plattenleger aus Polen, der zum ersten Mal einen Auftrag in der Schweiz ausführt, sollte nicht gleich behandelt werden wie der Servicemonteur eines grossen deutschen Werkzeugmaschinenherstellers, der täglich Aufträge in der Schweiz ausführt. Das Risiko von Lohndumping ist im ersten Fall klar grösser als im zweiten Fall. Die Frage der Viertage-Frist lässt sich nicht einfach mit Ja oder Nein beantworten. Die Konsultationen der kommenden drei Monate sollten dazu genutzt werden, auch neue Ansätze zu prüfen – und dabei das Lohnschutzniveau als Ganzes nicht zu verändern.

Die EU schliesst aber Nachverhandlungen aus.
Das ist Politik. Wenn wir der EU eine sinnvolle, gute Lösung unterbreiten können, hinter der sowohl die Schweizer Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer stehen, ist das letzte Wort vermutlich noch nicht gesprochen. Davon bin ich überzeugt. Wir werden uns auf alle Fälle in den Konsultationen als konstruktiver Partner einbringen.

Sie könnten den Gewerkschaften auf anderen Gebieten als beim Lohnschutz entgegenkommen: Tiefere Hürden für den Abschluss von Gesamtarbeitsverträgen, ausgebauter Kündigungsschutz für Arbeiter, die älter als 50 sind.
Es besteht ein gemeinsames Interesse von Arbeitgebern und Gewerkschaften: Wir wollen den bilateralen Weg mit der EU langfristig fortführen und den Lohnschutz nicht lockern. Das ist das Ziel auf beiden Seiten. Im Vordergrund der Diskussionen steht nun der Lohnschutz. Dass andere Themen bei den Konsultationen aufs Tapet kommen, ist möglich. Verhandlungen haben es an sich, dass beide Seiten aufeinander zugehen müssen, sowohl Arbeitgeber wie Arbeitnehmer.

An der Spitze des Gewerkschaftsbundes kommt es zu einem personellen Wechsel: Pierre-Yves Maillard löst Paul Rechsteiner ab. Könnte dies die Verhandlungen begünstigen?
Ja. Ständerat Rechsteiner nahm beim Lohnschutz früh eine unverrückbare Position ein. Er konnte dann nicht mehr zurück. Neue Personen am Verhandlungstisch sind sicher kein Nachteil.

Was würde ein Scheitern des Rahmenvertrags bedeuten?
Die Schweiz würde ihre Handlungsfreiheit verlieren. Die EU würde wohl ihre Nadelstiche fortsetzen; bei der Börse, bei der Bildungszusammenarbeit und zum Beispiel auch bei den Strafzöllen auf Stahl. Es besteht die Gefahr, dass die Schweiz ohne Gestaltungsoptionen in die Ecke gedrängt wird. Wie war es denn beim automatischen Informationsaustausch? Die Schweiz verweigerte sich lange einer Diskussion über das Bankkundengeheimnis und wollte den internationalen Druck aussitzen – und am Schluss blieb ihr keine Wahl. Der Informationsaustausch wurde in kurzer Zeit eingeführt. Die Schweiz ist wichtig für die EU, aber die EU ist für die Schweiz als Handelspartner noch viel wichtiger. Wir werden bald über die SVP-Initiative zur Kündigung der Personenfreizügigkeit und damit über das mögliche Ende der bilateralen Verträge abstimmen. Das Rahmenabkommen mit der EU könnte ein Gegenprojekt dazu sein. Wollen wir in der Isolation landen oder den bisher sehr erfolgreichen bilateralen Weg fortführen? Wollen wir zu einer wirtschaftlichen Insel werden? Darüber werden die Schweizerinnen und Schweizer wohl im Jahr 2020 entscheiden.

Mit dem Rahmenabkommen büsst die Schweiz an Eigenständigkeit ein.
Ohne wirtschaftliche Prosperität nützt alle Eigenständigkeit nichts. Die Kunst ist es, einen Mittelweg zu finden zwischen der Abgabe einiger Kompetenzen und der Sicherung des möglichst ungehinderten Zugangs zum Binnenmarkt der EU. Die Schweiz ist in einer privilegierten Situation: Wir haben mit der EU massgeschneiderte bilaterale Verträge, die in der Praxis gut funktionieren. Warum soll man sie aufgeben? Die Briten werden nach dem Brexit nicht annähernd so weitreichende bilaterale Verträge mit der EU haben, wie sie die Schweiz aushandeln konnte.

Der Bundesrat bezieht keine Stellung zum Rahmenvertrag – und er hat es auch noch nicht geschafft, seine Mitglieder auf die Departemente zu verteilen. Das zeugt nicht von Führungsstärke.
Die Departementsverteilung ist Sache des Bundesrats, da sollte sich die Wirtschaft nicht einmischen. Wichtiger als die Departementsverteilung ist die zukünftige Zusammenarbeit im Bundesrat als Gremium. Es ist in Zukunft entscheidend, dass die Regierung in den kommenden Jahren nicht Lösungsvorschläge präsentiert, die innerhalb von Wochen im Parlament zerzaust werden. Das ist in letzter Vergangenheit zu oft geschehen. Die neue Vorlage zur Altersvorsorge ist zum Scheitern verurteilt. Auch das Projekt für eine bodengestützte Luftverteidigung (Bodluv) wurde innert Wochen von zwei Bundesratsparteien für untauglich erklärt. Ich erwarte vom Bundesrat, dass er gemeinsam an Lösungen feilt, die so ausgewogen sind, dass sie eine stabile Mehrheit im Parlament und letztlich bei der Bevölkerung finden.

Das Interview mit Valentin Vogt ist in der NZZ am Sonntag erschienen.