«Arbeitende Mütter sollten ihre Pensen erhöhen»

12. November 2018 Medienbeiträge

Weniger als 60 Prozent mache keinen Sinn, sagt Arbeitgeberpräsident Valentin Vogt im Interview mit dem Tages-Anzeiger.

Vier von fünf Müttern in der Schweiz arbeiten. Das ist im europäischen Vergleich ein hoher Wert. Trotzdem spricht der Arbeitgeberverband von brachliegendem Potenzial. Was meinen Sie damit?
Der Wermutstropfen für die Wirtschaft ist, dass die meisten Mütter Teilzeit arbeiten: acht von zehn. Es geht heute also nicht darum, noch mehr Teilzeitstellen zu schaffen. Davon haben wir in der Schweiz genügend. Sondern dafür zu sorgen, dass die bereits erwerbstätigen Mütter ihre Pensen erhöhen. Heute ist jedoch nur ein kleiner Teil der Mütter dazu bereit.

Welche Pensen erwarten denn die Arbeitgeber?
Ich kann das am Beispiel meines Unternehmens erklären, des Winterthurer Industriebetriebs Burckhardt Compression. Für uns ist es sehr wichtig, dass unsere Mitarbeiterinnen nach dem Mutterschaftsurlaub weiterarbeiten. Am Anfang und vorübergehend auch nur zu 40 Prozent. Doch langfristig machen für uns Pensen unter 60 Prozent keinen Sinn. In Führungspositionen würde ich die Grenze sogar bei 80 Prozent ansetzen. Alles, was darunter liegt, macht es schwierig. Wir haben viele Tätigkeiten, die nicht einfach am Ende eines Arbeitstages fertig sind. Ein Kunde muss weiterbetreut werden, ein Projekt läuft weiter, auch wenn die Mitarbeiterin nicht da ist. Teilzeitarbeit muss auch dem Unternehmen dienen, nicht nur den Mitarbeitenden.

Die Statistik zeigt auch, dass die Männer selten bereit sind, mit der Vaterschaft ihre Pensen deutlich zu reduzieren. Gleichzeitig erwartet die Wirtschaft von den Frauen 60 Prozent und mehr. Das heisst, dass Kinder viel häufiger fremdbetreut werden müssten. Reicht da das heutige Angebot?
Bei den Krippen für Kleinkinder wohl schon. Ich sehe den grössten Nachholbedarf auf Stufe Schule. Es braucht Strukturen für den ganzen Tag. Die Väter und Mütter müssen ihre Kinder in der Schule am Morgen abgeben und am Abend abholen können.

Wer soll dies finanzieren?
Das ist die Aufgabe der Kantone und Gemeinden. Die guten Schulen gehören wie andere Dienstleistungen der öffentlichen Hand zu den guten Rahmenbedingungen in unserem Land. Die öffentliche Hand erhält schliesslich auch die zusätzlichen Steuereinnahmen, die die Frauen dank höheren Pensen generieren. Geld, das in bessere schulische Strukturen investiert wird, kommt zurück. Ich sehe das bei den jungen Mitarbeitenden in meinem Unternehmen. Die wählen den Wohnort nicht mehr nach dem Steuersatz aus, sondern nach der Qualität des Betreuungsangebots. Andererseits leisten die Arbeitgeber ihren Beitrag über die Unternehmenssteuern.

Heute sind Krippen und die zusätzliche schulische Betreuung für die Eltern teuer. In der Deutschschweiz finanzieren sie einen Krippenplatz im Schnitt zu zwei Dritteln selber. Und Befragungen zeigen, dass viele wegen der hohen Kosten ganz oder teilweise auf Fremdbetreuung verzichten.
Das ist ein Problem, das dringend gelöst werden muss. Ich bin überzeugt, dass viele Mütter mehr arbeiteten, wenn mehr vom Lohn für die Familie übrig bliebe. Deshalb müssten die externen Betreuungskosten für Berufstätige voll von den Steuern abziehbar sein. Genauso wie andere Berufsauslagen. Die Abzüge, die heute gemacht werden können, decken die wahren Kosten nicht wirklich ab.

Warum übernehmen nicht die Arbeitgeber einen Teil der Finanzierung? In der Waadt zahlen Eltern im Schnitt nur ein Drittel eines Krippenplatzes. Dank eines Fonds, in den alle Arbeitgeber einzahlen.
Der Kanton Waadt ist ein Sonderfall. Die Unternehmen haben Steuererleichterungen erhalten und haben sich im Gegenzug verpflichtet, einen Fonds für Betreuungsangebote mitzufinanzieren. Ich bin grundsätzlich gegen solche Lösungen. Wir Arbeitgeber sorgen für die Jobs und damit auch für zusätzliche Steuereinnahmen. Das ist unsere Aufgabe, nicht die Finanzierung von Krippenplätzen oder Tagesschulen. Das sind Rahmenbedingungen, die in Zukunft jede Gemeinde bieten muss, wenn sie ein attraktiver Wohnort für gute Steuerzahler sein will. 80 Prozent der Steuereinnahmen in der Schweiz kommen von natürlichen Personen und nur 20 von juristischen.

Und wie sieht es mit Kinderkrippen direkt in den Unternehmen aus?
Das soll jedes Unternehmen für sich entscheiden. Das muss nicht staatlich verordnet werden. Das ist im Übrigen auch unsere Haltung beim Vaterschaftsurlaub. Für gewisse Unternehmen kann eine Krippe im Betrieb durchaus Sinn machen, vor allem dann, wenn viele Angestellte in der Nähe wohnen. Wir bei Burckhardt Compression haben viele Angestellte, die aus ländlichen Gemeinden nach Winterthur pendeln. Die wollen ihre Kinder am Wohn- und nicht am Arbeitsort in die Krippe geben.

Morgen wollen die Arbeitgeber an einem Treffen mit Vertretern aller grossen Parteien Lösungen für eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf finden. Zugeständnisse sind von Ihrer Seite offensichtlich nicht zu erwarten?
Unser Ziel ist, dass alle Teilnehmenden an diesem Tag ihre Standpunkte darlegen und eine weitere Sensibilisierung in der Bevölkerung zum Thema stattfindet. In gewissen Punkten wird man eine gemeinsame Haltung finden, in anderen nicht.

Unmittelbare politische Auswirkungen wird dieses Treffen also nicht haben?
Das werden wir sehen. Staatlich verordnete Zwänge sind bei diesem Thema aus meiner Sicht der falsche Ansatz. Gemeinden, Kantone und Unternehmen, die sich bei Fragen der Kinderbetreuung und der Vereinbarkeit von Familie und Beruf konstruktiv zeigen, erarbeiten sich Vorteile. Die junge Generation ist sich dieses Themas viel bewusster. Sie zieht dorthin, wo das Betreuungsangebot stimmt, arbeitet dort, wo sich Unternehmen den neuen Familienmodellen anpassen.

Was macht Sie da so sicher?
In der Schweiz gibt es rund 5 Millionen Erwerbstätige. In den nächsten zehn Jahren wird etwa 1 Million Menschen pensioniert, aber nur etwa 500’000 neue Arbeitskräfte rücken nach. Unternehmen, die bei so einer Ausgangslage keine attraktiven Arbeitsbedingungen für Väter und Mütter bieten, werden zu den Verlierern gehören. Das ist der Wettbewerb. Wer das Thema Beruf und Familie jetzt ernst nimmt, wird auch in Zukunft genügend Fachkräfte haben. Unternehmen, die sich dem verweigern, werden es in Zukunft deutlich schwieriger haben, qualifiziertes Personal zu finden.

Das Interview mit Valentin Vogt ist im Tages-Anzeiger erschienen.