Verschlimmbesserung bei der AHV-Reform

10. Juni 2021 News

Mit seinen Beschlüssen zur Anpassung der AHV-Reform begibt sich der Nationalrat auf einen gefährlichen Pfad: Nach dem Scheitern sämtlicher Reformbemühungen ist der Erfolg der aktuellen Vorlage zur finanziellen Stabilisierung des grössten Sozialwerks dringend notwendig. Stolpersteine, die eine Mehrheit an der Urne gefährden, müssen verhindert werden – dazu gehören aus Sicht der Arbeitgeber neben zu teuren Übergangslösungen auch ein Griff in die Kasse der Nationalbank.

Dass der Nationalrat bei der Behandlung der Reformvorlage «AHV 21» von den Beschlüssen des Ständerates aus der Frühjahrsession abweichen würde, zeichnete sich bereits im Vorfeld ab. So lässt sich denn das Geschäft auch relativ klar in zwei Bestandteile zerlegen: Von beiden Räten beschlossen und aus Sicht der Arbeitgeber notwendig sind die Angleichung des Rentenalters der Frauen, die Flexibilisierung des Rentenbezugs zwischen 63 und 70 Jahren sowie eine rechtliche Verknüpfung zwischen der eigentlichen AHV-Reform und der Zusatzfinanzierung über die Mehrwertsteuer. Letztere ist notwendig, weil bei der zwingend an der Urne zu klärenden Frage der Erhöhung der Mehrwertsteuer das Risiko bestünde, dass zwar die AHV-Reform, nicht aber die Zusatzfinanzierung in Kraft treten würde – oder umgekehrt.

Im zweiten Teil der Reform zeigen sich jedoch erhebliche Differenzen zwischen den Räten. Insbesondere drei fallen stark ins Gewicht: Erstens ist umstritten, welche Übergangsjahrgänge aufgrund der Angleichung des Frauenrentenalters von Ausgleichsmassnahmen profitieren sollen und wie diese konkret ausgestaltet werden. Für die Arbeitgeber ist klar, dass solche Massnahmen zwar notwendig sind, sich aber in einem gesunden Verhältnis zu den strukturellen Einsparungen bewegen müssen. Dies wird beim Modell des Ständerats mit maximalen Kosten von rund 420 Millionen Franken deutlich besser erfüllt als beim Nationalrat (Mehrkosten von maximal 670 Millionen Franken pro Jahr). Dessen Lösung würde hingegen zielgruppenspezifischer diejenigen Frauen unterstützen, die eine besonders tiefe AHV-Rente erhalten werden. Zweitens erfordert die nationalrätliche Variante aufgrund der Mehrkosten für die Übergangsgeneration auch eine stärkere Erhöhung der Mehrwertsteuer um 0,4 Prozentpunkte. Bei entsprechenden Einsparungen wäre hingegen eine Reform mit einer Erhöhung um 0,3 Prozentpunkte gemäss Beschluss des Ständerates möglich, was auch im Sinne der Arbeitgeber ist.

Drittens hat eine unheilige Allianz zwischen Links und Rechts im Nationalrat dazu geführt, dass dieser für die Zusatzfinanzierung nicht nur die Mehrwertsteuer, sondern auch Erträge aus Negativzinsen der Nationalbank verwenden will. Für die Arbeitgeber ist insbesondere der Griff in die Kasse der Nationalbank undenkbar. Nicht nur, dass eine derartige Massnahme de facto einer reinen Zusatzfinanzierung durch den Bund gleichkommen würde – sie ist auch geldpolitisch deplatziert: Aufgrund der zwingenden Unabhängigkeit der Nationalbank sind die entsprechenden Zahlungsströme durch den Bund nicht kontrollierbar und eignen sich somit schon aus ganz grundsätzlichen Überlegungen nicht für die Sanierung eines Sozialwerks. Sollte auch der Ständerat auf diesen Pfad einschwenken – was aufgrund der jüngsten Beschlüsse zu entsprechenden Vorstössen eher unwahrscheinlich ist – würde er die Mehrheitsfähigkeit der Vorlage arg beeinträchtigen. Nach Jahrzehnten der Blockade und dem allseitigen Wunsch nach einer schlanken, raschen AHV-Reform wäre dies umso verheerender.